Großbritannien

Cornwall: Kein Platz für den Union Jack

Nur 3.147 Kilometer sind es von Land’s End nach New York. Fotos: stock.xchng

Die Provinz ist für viele Großbritanniens schönster Fleck

Das wahre England liegt in der Provinz. Countryside sagen die Briten. Und meinen damit, dass dort alles konservativ und beschaulich ist. Das gilt auch für Cornwall. Vor den Bauernhöfen weisen handgeschriebene Tafeln auf „Eier von freilaufenden Hühnern“, „Kartoffeln aus neuer Ernte“ und „saftige Äpfel“ hin. Die Pferde spielen wild in ihren Koppeln, Schafe und Kühe grasen auf sattgrünen Weiden.

Man bleibt unter sich. Lebt sein Leben. In den Ortschaften sind Warnschilder zu finden, die darauf aufmerksam machen, dass hier „neighbourhood watch“ gilt. Jeder passt auf, dass nichts passiert, was die heile Welt gefährden könnte. Das ganze Dorf spielt Polizei. Aber cornish sein, heißt stolz und keltisch zu sein, die eigene Sprache zu pflegen. Die Einwohner Cornwalls sind Nachfahren der Kelten, die sich unter dem Druck der Römer in ihr jetziges Territorium zurückziehen mussten. Man fühlt sich mehr den Schotten und Walisern oder sogar den Bretonen in Frankreich zugeneigt, als den Engländern.

Und so machen sich die Neuzeitkelten einen Spaß daraus, Cornisch zu sprechen: Auch wenn einer in Oxford studiert hat, Cornisch verstehen kann er nicht. Das bleibt denjenigen vorbehalten, die zwischen Tamar River und Land’s End geboren wurden. Keine Gemeinde hat mehr als 20.000 Einwohner. Hier lebt man in Dörfern. In einer rauen Landschaft, die den Menschen mehr abtrotzte als anderswo, die zu Individualismus und Heimatgefühl erzog.

Einspurige Wege schlängeln sich durchs Dartmoor, wo zwischen Holne und Hexworthy eine prähistorische Steinformation an das weltberühmte Stonehenge erinnert. Nur zwei größere Straßen kreuzen dieses unwirtliche, neblig-kühle und feuchte Gebiet. Sie treffen sich bei Two Bridges. Die kleinen Brücken überspannen den West Dart River, der südlich nach Dartmouth fließt und im Ärmelkanal mündet.

Eine andere Brücke ist sogar weltbekannt. „Bridge over troubled water“ – wer kennt ihn nicht, den Song von Simon & Garfunkel. Nur wenige wissen, dass es die Brücke über das zwar eher ruhige denn reißende Wasser auch wirklich gibt. Die fünfbögige Steinbrücke, die an Bauten aus den „Asterix & Obelix“-Comicheften erinnert, findet sich in dem kleinen Ort Bickleigh, wenige Kilometer nördlich von Exeter.

Wer wirklich raues Wasser sehen will, fährt jedoch dorthin, wo der Wind pfeift. Land’s End! Welch ein dramatischer Name! Der Atlantik klatscht an die schroffen Felsen. Kaum zu glauben, dass nur ein paar Kilometer weiter Pinien wie in der Toskana und Tamarisken wie in großen Teilen Afrikas gedeihen. Die Euro-Flagge flattert ebenso im Wind wie die cornische. Was fehlt, ist nur der Union Jack ...
Jochen Müssig
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