Italien

Harmonie als Lebensgefühl

Palladios berühmtestes Bauwerk: die Villa La Rotonda in Vicenza.

Auf den Spuren des Renaissance-Architekten Palladio im Veneto

Denkmal von Andrea Palladio vor der Fassade des von ihm erbauten Rathauses an der Piazza dei Signori. Fotos: aze

Unerhört! Der 15-jährige Müllersohn Andrea haut einfach ab, lässt den Lehrvertrag sausen, den sein Vater 1521 in Padua mit einem angesehenen Steinmetzen geschlossen hat und macht sich auf nach Vicenza. Welch Glück für die Provinzhauptstadt, die später durch die Bauten des großen Renaissance-Architekten Andrea Palladio Weltruhm erlangte. Und seit 1994 dürfen sich Vicenza und die Palladio Villen mit dem Weltkulturerbe-Prädikat der Unesco schmücken.

Die Stadt am Fuße der Monti Berici hat über die Jahrhunderte Stil und Klasse bewahrt - selbst die Industrie widmet sich hier Edlem: Dem bedeutenden Zentrum der Gold- und Juwelenverarbeitung bietet Vicenza ein ideales Ambiente. Wie ein pompöses Freilufttheater wirkt die Piazza dei Signori im Zentrum der Stadt. Diese großartige Kulisse sollte man erst einmal von einem der Logenplätze in den Cafés auf sich wirken lassen. Vornehme Palazzi, antike Säulen und der schlanke Torre dei Piazza umrahmen den attraktiven Platz. Und bei Gelati oder Cappuccino lässt sich auch die monumentale, alles beherrschende Fassadenwand der so genannten Basilika, einst Rathaus, entspannt bewundern. Sie ist eines der ersten Meisterwerke Palladios. Vor der Seitenfront erhebt sich der Meister höchstpersönlich in Marmor gehauen auf einem hohen Podest.

Beim Stadtbummel kann man sich gezielt auf Palladios Spuren heften oder sich einfach treiben lassen - zwangsläufig trifft man immer wieder auf Villen und Palazzi. Auf jeden Fall führt der Weg zum Teatro Olimpico hinter den Mauern eines ehemaligen Kastells. Der Entwurf für das erste freistehende Theatergebäude seit der Antike war der letzte Auftrag des genialen Architekten für Vicenza. Der umwerfend schöne Theaterraum begeistert jeden Besucher. Die Bühne als zweistöckige Palastfassade mit Triumphbogen und lebensgroßen Fassaden, der Zuschauerraum, ein Halbkreis mit steil ansteigenden Sitzstufen und Kolonnaden zum Abschluss. Hier werden jedes Jahr Klassiker aufgeführt. Auf einem Hügel am Monte Berici oberhalb der Stadt erhebt sich Palladios berühmteste Villa, "La Rotonda". Der harmonische viereckige Kuppelbau streckt seine klassischen Tempelfronten weit sichtbar in alle Himmelsrichtungen.

Eine seiner schönsten Villen liegt nahe Asolo in Maser. Ionische Frontsäulen schmücken die Villa Barbaro. Beeindruckend ist auch die Innen?dekoration des Renaissance-Malers Paolo Veronese: Prächtiges Festgepränge und Illusionsmalerei zeigen verblüffende Effekte. Bitte nicht erschrecken, wenn der vermeintlich gemalte Hund neben dem Kamin plötzlich gähnt und aus dem Bild läuft. Die Villa ist nämlich in Privatbesitz und nur dienstags und am Wochenende für das Publikum geöffnet. Wollte man allen Spuren Palladios auch durchs ländliche Veneto, zum Brenta Kanal und bis nach Venedig mit großartigen Kirchenbauten des Meisters folgen, könnte man Wochen zubringen. Was der große Renaissance-Architekt in Vicenza begann, sollte für viele Epochen stilprägend werden - für englische Herrschaftshäuser ebenso wie für das Weiße Haus in Washington.
Monika Zeller