Kroatien

Ein Touch von Disneyland

Über den Dächern von Dubrovnik: Blick von der Stadtmauer.

Dubrovnik, die "Perle der Adria" schillert wieder - und kann sich vor Kreuzfahrttouristen kaum retten

Das 2010 eröffnete Kriegsmuseum auf dem Hausberg Srd.

Selbst auf der Stadtmauer und in den hintersten Gassen werden Touristen mit Getränken bewirtet.

Fast 700 Kreuzfahrtschiffe liefen im vergangenen Jahr die "Perle der Adria" an.

Herausgeputzte Altstadt. Fotos: pa

Der Wind peitscht den Regen fast horizontal über die Straße. Auf den Kalksteinplatten, die wie eine Schlittschuhbahn glänzen, spiegeln sich die Lichter der Laternen. Wir sind gerade ins Franziskanerkloster abgetaucht, als ein Blitz den romanisch-gotischen Kreuzgang hell erleuchtet. Von den Kapitellen glotzen Tier- und Menschenköpfe wie Spukgestalten in einem Gruselkabinett.

Doch das hier ist kein Freizeitpark. Wir sind in der ehrwürdigen Altstadt von Dubrovnik, Weltkulturerbe der Unesco. Während Stadtführer Niko Vicelja von den Schrecken des Bürgerkriegs erzählt, blitzt und donnert es weiter. Das Franziskanerkloster aus dem 14. Jahrhundert, in dem sich die angeblich erste Apotheke Europas befindet, gehörte zu den bevorzugten Zielen der jugoslawischen Streitkräfte - so wie alle Kostbarkeiten der kroatischen Hafenstadt. Am 6. Dezember 1991, dem schwärzesten Tag der Belagerung, prasselten mehr als 600 Geschosse auf das historische Zentrum. Eine Granate sauste quer durch das Kloster und schlug in einer Wand ein. Dort steckt sie noch immer.

Bis auf einige dezente Mahnmale und das Kriegsmuseum auf dem Hausberg Srd erinnert heute nichts mehr an die Verwüstung. Höchstens noch die Perfektion der Rekonstruktion, die Dubrovnik einen Touch von Disneyland verleiht. Das findet selbst Vjekoslav Vierda, Leiter des Instituts für Wiederaufbau. Von der Stadt und der Unesco wurden ihm viele Millionen US-Dollar für die Reparaturen zur Verfügung gestellt - für das Kitten der Einschusslöcher in den mittelalterlichen Kaufmannshäusern, das Ausbessern der Krater in den Straßen und das Decken der Dächer mit frischen Ziegeln. "Aber die Verwitterung der Jahrhunderte", sagt Vierda, "die können wir nicht nachbilden."

Die Touristen scheinen die neue "Perle der Adria" zu lieben. "2000 hatten wir die erste gute Saison nach dem Heimatkrieg", erzählt unser Guide Niko. "Seitdem geht es steil bergauf." Im vergangenen Jahr ankerten fast 700 Kreuzfahrtschiffe vor Dubrovnik und schwemmten mehr als eine Million Menschen in das enge Gassengeflecht. "Vormittags ist Hauptangriffszeit", sagt Niko. Am Nachmittag trollten sich die Passagiere dann wieder zu ihren Büfetts an Bord. Es habe schon Tage gegeben, an denen die Polizei eingreifen musste, um das Gedränge zu regeln.

Doch Niko will sich über die Invasion nicht beklagen. Schließlich hat sie ihm nicht nur seinen Job beschert, sondern auch seine "Delitzscher Praline", seine große Liebe Steffi aus Sachsen, die er vor zehn Jahren in einer deutschen Reisegruppe entdeckte und sich mit ihr vermählte. Auch Nikos Mutter ist eine Deutsche, die als Touristin nach Kroatien kam und sich in einen jungen Kroaten verliebte - Nikos Vater.

Für heute ist der Touristenstrom verebbt. Und wegen des apokalyptischen Unwetters sind in der "Suppenschüssel", wie Niko die Altstadt nennt, auch nur wenige Einheimische unterwegs. Allerdings ist der historische Kern zum Wohnen ohnehin nicht sonderlich beliebt - weil sich die Immobilienpreise in astronomischen Höhen bewegen, die Läden für den Alltagsbedarf von Souvenir-Shops verdrängt wurden und Autos verboten sind.

Viele Häuser stehen leer oder gehören Engländern, die hier ihre Ferien verbringen. Man muss schon in die allerverwinkelsten Gassen steigen, irgendwo hinter der Kathedrale Velika Gospa und der Jesuitenkirche, um Zeichen von Alltag zu entdecken - Blumen in den Fenstern, Wäscheleinen vor bröckelnden Fassaden und Katzen, die auf Mauern kauern. Dubrovnik hat 45 Hotels mit 28.000 Betten, aber fast alle befinden sich außerhalb der Altstadtmauern.

Wir eilen weiter über den Stradun, die 292 Meter lange Flaniermeile Dubrovniks. Niko biegt rechts in eine schmale Gasse ab, um uns die vielleicht erste "Baby-Klappe" der Welt zu zeigen - als Indiz dafür, dass die Stadt schon im 15. Jahrhundert ein "gutes Sozialsystem" hatte. "Unfreiwillig schwanger gewordene Mägde konnten hier ihr Neugeborenes abgeben", erzählt Niko.

Tatsächlich war die reiche und unabhängige Stadtrepublik Ragusa, die über eine der größten Seehandelsflotten der Welt verfügte, in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Um Korruption vorzubeugen, wurde vier Jahrhunderte lang jeden Monat ein neuer Regent gekürt. Im Rektorenpalast, zu dem wir durch den Wolkenbruch weitergehechtet sind, führt uns Niko zu einer Truhe, in der einst die Schlüssel zu den Stadttoren verwahrt wurden. Früher blieben die Pforten nachts geschlossen, um unliebsame Besucher abzuhalten.

Heute dürfen die Touristen rund um die Uhr ein- und ausgehen. Über dem Ploce-Tor am östlichen Ende wacht St. Blasius, der Schutzpatron. Er soll Dubrovnik vor einem Angriff des Erzivalen Venedig gerettet haben. Gegen die serbischen Truppen konnte der Heilige dagegen nichts machen. Auch er selbst wurde versehrt. An der rechten Hand fehlt ihm ein Stück vom Zeigefinger.

Mehr als zwei Drittel der Altstadt wurden während der neunmonatigen Belagerung zerstört, selbst die Klöster, die Kirche des Heiligen Blasius und der Sponzapalast mit dem Stadtarchiv blieben nicht verschont. "Wir hatten alle schützenswerten Gebäude mit den Plaketten der Unesco gekennzeichnet", sagt Vierda. "Stattdessen wurden sie gerade dadurch zur Zielscheibe." Niko hat das nicht miterlebt. Sein Vater hatte ihn und seine Mutter mit einem der letzten Schiffe nach Deutschland geschickt. "Monatelang hatten wir kein Lebenszeichen", sagt Niko. "Die Stadt war total abgeschnitten."

Doch nicht nur der Krieg, auch mehrere Erdbeben haben das Stadtbild verändert. So wurden die Häuser am Stradun zur Sicherheit der Passanten ohne Balkons wieder aufgebaut. Im Schein der Laternen, nass vom Regen, sieht die Straße sehr romantisch aus. Am nächsten Tag muss man aber noch einmal wiederkommen, um Dubrovnik auch im Hellen zu begutachten.

Die schönsten Perspektiven bieten sich von der zwei Kilometer langen Stadtmauer. Unten vor der Kirche St. Saviour wuseln schon die ersten Kreuzfahrer herum, über den Köpfen tanzen die Schilder der Reiseleiter. Wir fahren mit der Seilbahn hinauf zum Hausberg Srd, wo eine Festung aus der Ära Napoleons das Kriegsmuseum beherbergt. So finster der Einblick in die Geschichte ist, so fantastisch ist der Ausblick auf die Altstadtperle in der glitzernden Adria.
Pilar Aschenbach
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