Tschechien

Das ist der Wipfel

Lipnos neues Wahrzeichen: der Baumwipfelpfad.

In Rekordzeit verwandelte sich das tschechische Lipno in einen familienfreundlichen Skiort samt Baumwipfelpfad

Lipno hat sich von einem grauen Dorf zu einem boomenden Skiort entwickelt. Fotos: mc

Böhmische Knödel und Schweinebraten, Bratwurst und Krautfladen – die Küche des tschechischen Lipno ist gerüstet. In der Chata Lanovka (Seilbahnhütte) ist kaum noch ein Sitzplatz zu ergattern. „Hier wird für 15 Euro noch meine ganze Familie satt, inklusive Getränke“, sagt Mike, ein Urlauber vom Bodensee, „dafür kriegst du woanders gerade mal ein Hauptgericht.“

Lipno ist hungrig: „Die investieren das Geld, das sie einnehmen“, sagt Mike. „Jedes Jahr kommt etwas Neues hinzu.“ Vor wenigen Jahren wurden die alten Liftanlagen durch neue Sessellifte ersetzt. Seit den Umbauten ist der Ferienort in der Spur. Auch dank der Talsperre von Lipno, im Volksmund Tschechisches Meer oder Moldaustausee genannt. Er bietet ein unerschöpfliches Wasserreservoir für die rund 40 Schneekanonen im Skigebiet. Für sieben Pistenkilometer eine beachtliche Anzahl.

Die breiten, unspektakulären Abfahrten sind ideal für gemütliche Skifahrer, Anfänger und Familien. Von Mitte Dezember bis Ende März sorgt die Beschneiungsanlage in der Regel fast durchweg für gute Verhältnisse.

Der Stausee bringt Lipno nicht nur Kunstweiß ohne Ende, sondern auch einen warmen Regen. Denn der Zweiklang aus Schnee und See lockt Investoren. Das niederländische Unternehmen Landal Green Parks baute einen Ferien- und Wassersportpark direkt am Stausee, die Marina Lipno. Andere zogen nach. In diesem Winter stehen bereits über 4.000 Gästebetten zur Verfügung, zumeist in Apartmentanlagen.

Das einst graue Dorf steht heute als aufstrebender Fremdenverkehrsort da und ist nicht wiederzuerkennen. Noch vor wenigen Jahren bestand nur aus ein paar Wohnblöcken und Schrebergärten.Allzu glamourös will Lipno auch heute nicht rüberkommen, trotz Après-Ski und Jagertee. Während in den Alpen die Nachfrage nach Komfort und Kulinarik von Jahr zu Jahr immer noch raffinierter befriedigt wird, konzentriert man sich in Lipno auf die Grundbedürfnisse: Skifahren, satt werden und parken. Letzteres ohne Wenn und Obolus, auch zu Stoßzeiten.

Schließlich lebt der Ort, wie die anderen Wintersportorte Tschechiens, vom Image als familienfreundliche Preiswertalternative. Die Nebenkosten erscheinen überschaubar. Für zwei Stunden Skikurs etwa werden nur rund 20 Euro fällig. Das lässt auch verstärkt deutsche Urlauber aufhorchen: „Die entdecken uns gerade“, sagt Jiri Falout vom Liftbetreiber Lipno Servis.

In diesem Winter werden deutsche Urlauber zum zweiten Mal hintereinander vermutlich die zweitstärkste Kraft darstellen. Hinter den Holländern. Einträchtig kurvt man die Pisten hinunter – auch nach 18 Uhr: Nachtskilauf wird täglich angeboten. Konsequenterweise ohne Extragebühr. Wie der Snowboardpark und die Kinderskianlage „Fox-Park“ – gut einsehbar an der Talstation. Die Ski für den Brettlspaß kann man sich von einem international agierenden Skiverleih leihen. „Wir sind sehr geeignet für Familien“, sagt Falout. Wegen des guten Überblicks über das Gelände. So dürfen sich die Eltern sicher fühlen, wenn sie eine Pause einlegen.

Typisch Lipno ist auch das neue Wahrzeichen: der Baumwipfelpfad. Wie ein surreales Bauwerk überragt die Holzkonstruktion die Wipfel des Kramolin, mit Blick auf den oft vereisten Moldaustausee. Eine Attraktion im ansonsten etwas ereignisarmen Südböhmen. Der Pfad sorgte für einen kräftigen Besucherschub. In den ersten sechs Monaten nach der Eröffnung sei Lipno der meistfrequentierte Ort Tschechiens gewesen, heißt es von den örtlichen Tourismuswerbern. Aus dem einst tristen Dorf ist eine kleine Boomtown geworden. Infos unter www.lipno.info.
Martin Cyris