Deutschland

Von „Rocky“ bis zur „Ritze“

Der Blonder Hans im Boxkeller der „Ritze“.

Mit einem St. Pauli-Urgestein über die Reeperbahn in Hamburg

Die Bühne des „Rocky“-Musicals im TUI Operettenhaus. Fotos: sh, Stage Entertainment

Neonbunte Leuchtreklame blinkt und flimmert, Bässe wummern durch die Wände, vor einem Fenstern wackelt ein Mädchen im knappen Bikini mit ihrem Hintern. Mit anzüglichen Sprüchen versucht draußen ein muskelbepackter Kerl mit dunkler Sonnenbrille, Gäste in das Etablissement zu locken. Kobern heißt diese Art des Anlockens auf dem Kiez, das die Damen des Gewerbes bis zur Perfektion beherrschen.

Benni und Maike Rasch gönnen sich ein langes Hamburg Wochenende: Musical, Mönckebergstraße, Museen und die sündige Meile. Weil die Wuppertaler diese nicht auf eigene Faust erkunden wollen, haben sie eine Tour gebucht. Für jeden Geschmack ist etwa dabei. Huren, Nachtwächter, Geldeintreiber oder Drag Queens zeigen Besuchern ihr St. Pauli.

Die Raschs haben sich für den Blonden Hans entschieden, ein St. Pauli-Urgestein, dessen blondes Haar inzwischen weiß geworden ist. Einst war der Mann mit der Schnodderschnauze selbst eine Kiez-Größe mit Bordell und Bar. „Kommt Kinder“, treibt er seine Schäfchen zusammen. Mit großen Schritten eilt er durch die Straßen, zeigt, wo der legendäre Star-Club stand, wo seine Mädchen anschafften und die Beatles ihre Pilzköpfe verpasst bekamen.

An den Sichtblenden der Herbertstraße plustern sich die Männer auf, wippen mit den Oberarmen, halten die Luft an. Bauch rein, Rücken raus. Kichernd versuchen die Frauen einen Blick hinter die Absperrung zu erhaschen. „So Kinder, jetzt wird es ernst“, röhrt der St. Paulianer. „Die Herren gehen mit mir und die Damen mit meinem Kollegen Alex.“ Ben und Maike winken sich noch einmal zu, dann sind die Männer verschwunden.

Rein rechtlich ist die nur 60 Meter lange Herbertstraße eine ganz normale Straße, die jeder passieren kann. Doch die Huren passen auf, dass keine Frau die Glitzerwelt betritt. Alex führt seine Damenriege in einen Club. Masken, Peitschen und anderes Bizarres, das die meisten, wenn überhaupt, nur aus dem Fernsehen kennen. Zum Verdauen gibt es Bier. In der Kneipe warten die Männer, vollzählig. Keiner ist in der Herbertstraße versackt.

Der Blonde Hans drängt zum Gehen. Ziel ist die „Ritze“, die Kneipe mit dem wohl bekanntesten Eingang auf St. Pauli: zwei gespreizte Frauenbeine in roten High Heels. Oben eine urige Kaschemme, unten ein Boxkeller. Dariusz Michalczewski, Henry Maske und die Klitschkos haben hier trainiert. Aber früher auch die Kiezgrößen, als auf St. Pauli noch die Faust bestimmte, wer Recht hatte. Schläge krachen, ab und an stöhnt ein Kämpfer auf. Zwei junge Männer tänzeln durch den Ring, lassen ihre Muskeln spielen. Nicht nur die Kerle beobachten fasziniert die Boxer.

„Boxen, damit habe ich ihn ins Musical bekommen“, freut sich Maike. „Ich wollte unbedingt eines sehen“, erzählt die 41-Jährige, „aber mein Mann weigerte sich.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Zu ,Rocky‘ konnte ich ihn überreden, Boxen ist männlich und den Film mit Sylvester Stallone fand er auch toll.“

Das TUI Operettenhaus, wo sich „Rocky“ seit der Premiere Ende 2012 in die Herzen der Zuschauer boxt, liegt nur ein paar hundert Meter entfernt. Auch das ist St. Pauli. Der Blonde Hans hat Mühe, seine Truppe aus dem Boxkeller zu bugsieren, aber es gibt noch viel zu entdecken.
Silke Haas