Deutschland

Ab nach Kassel

Blick auf den Herkules mit den Wasserspielen.

Die spröde Nordhessin ist auch ohne Documenta eine Reise wert

Kunst-Detail am Kasseler Kultur-Bahnhof.

Plakat in der Galerie „Caricatura“. Fotos: cd

Was hat Kambodscha mit Kassel zu tun? 2013 hat das Unesco-Komitee bei seiner Sitzung in Phnom Penh den Bergpark Wilhelmshöhe und seine Wasserspiele zum universellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Allein dieses Meisterwerk barocker Gartenbaukunst im Schatten des Herkules ist Grund genug, der Stadt Kassel einen Besuch abzustatten. An fünf Terminen von Frühjahr bis Spätsommer 2014 plätschert, rauscht und schwallt es im Park – als sei Goethes Zauberlehrling bei der Arbeit.

Märchenhaft geht es in Kassel sowieso das ganze Jahr zu, etwa im Brüder-Grimm-Museum. Die hier ausgestellten wertvollen Handexemplare der in mehr als 170 Sprachen übersetzten Hausmärchen sind Unesco-Weltdokumentenerbe. Über drei Jahrzehnte lebte und arbeitete das Brüderpaar in Kassel.

Neben den Märchen machten sie sich mit der „Deutschen Grammatik“ und einem „Deutschen Wörterbuch“ um die Sprache verdient. Der Duden kam erst viel später. Das Museum zeigt das Wirken der Grimms im Spiegel ihrer Zeit. In diesem Jahr wird es um eine moderne „Grimm-Welt Kassel“ ergänzt.

Kassel während der 100 Tage der alle fünf Jahre stattfindenden Documenta: Heerscharen von Menschen mit markanten Brillen und Kunstkatalogen unter dem Arm fallen in die nordhessische Metropole ein. Babylonisches Sprachgewirr schwirrt durch die Straßen. Die Übernachtungspreise steigen deutlich an.Kassel während der normalen vier Jahre und 265 Tage ohne Documenta: Sitz eines Regierungspräsidiums, knapp 196.000 Einwohner, eher raues Klima mit Beinamen „Hessisches Sibirien“. Eine Stadt, die funktioniert und in der man über Kunst sogar laut lachen darf. Vor allem in der Galerie „Caricatura“ für komische Kunst im Kultur-Bahnhof.

Danach sollte man bei Metzger Barthel eine Kochwurst essen gehen. Man bekommt sie dampfend heiß auf einem Brettchen serviert. Dieses wiederum lässt sich passgenau in die Schlitze der Holzwand der Metzgerei einschieben. Die Konstruktion ist so gut durchdacht, dass sie beinahe schon Kunst ist. Finden auch die wurstsüchtigen Einheimischen, die man in drei Gruppen aufteilen muss.

Es gibt die Kasseler, also Menschen, die in der Stadt leben und arbeiten. Dann gibt es die Kasselaner, also Wesen, die in dieser Stadt geboren wurden. Und es gibt den Hochadel vor Ort, nämlich die Kasseläner – Einwohner, deren Familie seit Generationen hier ansässig sind. Sehr alte Kasseläner wissen noch, welche Fachwerkperle die Stadt einst war. Im Herbst des Jahres 1943 wurde sie dem Erdboden gleichgemacht. Der Wiederaufbau verlief nach rein pragmatischen Grundsätzen. Geschaffen wurde eine autogerechte Stadt, die trotz alledem mit der „Treppenstraße“ die erste deutsche Fußgängerzone bekam.

Wenn man durch Kassel läuft, fühlt man sich wie auf Trip zurück in die Fifties. Best-Ager können sich direkt in die Kindheit zurückversetzen. Jüngere erfahren Inspiration, warum diese Epoche plötzlich Kultstatus erhält. Kein Wunder also, dass es zum Thema Architektur der 50er Jahre hochkarätige Führungen gibt, die nicht nur während der Documenta stattfinden, obwohl die weltberühmte Kunstschau, das kann kein Zufall sein, 1955 zum ersten Mal stattfand.

Man kann sich sogar in den Fifties zur Ruhe betten. Das Grand City Hotel Hessenland, in dem schon viele Künstler und Politiker abgestiegen sind, ist eine einzige Hommage an die Epoche.Ab nach Kassel, schreibt man per SMS an die daheim.
Claudia Diemar