Schweiz

Weinselig über den Röstigraben

Der Reblehrpfad führt von Salgesch nach Sierre durch den Kanton Wallis.

Auf dem Weinlehrpfad zwischen Salgesch und Sierre

Die Önothek des Chateaus de Villa in Sierre.

Winzer im Bergdorf Visperterminen. Fotos: cd

Auf den Bergen hat es geschneit. Schlohweiß stechen die Gipfel gegen den dunkelblauen Himmel ab. In den Dörfern lodert das Herbstlaub in Flammenfarben. Ganz unten, in der Talsohle, gurgelt die junge Rhone dahin. Nur wenige Meter höher beginnen Obstgärten und Weinberge, die sich weit die Hänge hinaufziehen. Ein Drittel der Gesamtfläche des Kantons ist mit Reben bepflanzt. Im Bergdorf Visperterminen finden sich die höchst-gelegenen Weinberge Mitteleuropas.

„Seit 1900 ist der Weinanbau in der gesamten Schweiz um die Hälfte zurückgegangen, im Wallis hat er sich jedoch verdoppelt“, sagt Heidi Kuonen vom Weinmuseum in Salgesch. Etwa 22.000 Besitzer teilen sich das Walliser Rebland, in dem nicht weniger als fünfzig Sorten kultiviert werden. Klassiker wie Fendant, Johannisberg, Dole und Pinot Noir gehören dazu; außerdem viele autochthone Sorten wie Amigne, Cornalin und Petite Arvine.

Das Wallis, bekannt für seine Gipfel und Gletscher, hat ein Steppenklima mit heißen Sommern und einem meist langen, milden Herbst. Im Kanton werden die geringsten Niederschlagsmengen der Schweiz und mancherorts jährlich mehr Sonnentage als auf Mallorca gemessen. Die Berge schützen die Reben zudem vor dem Nordwind. Der wahre Freund des Weines aber ist der Föhn, der im Frühjahr die Rebblüte begünstigt und im Herbst mit warmer Luft von Süden durch die Weinstöcke streicht. Ein Walliser Sprichwort sagt: „Ein Tag Föhn gibt ein Öchsle mehr.“

Das Weinmuseum von Salgesch im historischen „Haus Zumofen“ erzählt von den einheimischen Rebsorten und stellt Werkzeuge und den Wandel im Weinbau vor. Vor der Tür des Museums beginnt der Reblehrpfad. Über gut sechs Kilometer zieht er sich durch Weinberge bis Sierre dahin und bietet neben herrlichen Landschaftspanoramen 80 lehrreiche Tafeln am Wegrand – etwa zu den Terrassenmauern aus Bruchsteinen, die den Lebensraum für die seltenen Smaragdeidechsen bilden.

Schon kurz nach dem Start führt der Pfad abwärts. Im Talgrund gluckert ein schmaler Bach namens Raspille dahin. Der unscheinbare Wasserlauf ist die Sprachgrenze. Auf schmalem Steg überquert der Wanderer hier den berühmten „Röstigraben“, wo die deutschsprachige Schweiz ihre Grenze hat. Ab hier wird Französisch parliert. Für das Dorf Veyras, das mit Wegweisern knausert, kann man sich als Faustregel merken: Bei Rilke abwärts! Der mittelalterliche Muzot-Turm mit seinem Treppengiebel diente dem Dichter nämlich von 1921 bis zu ‧seinem Tod 1926 als Domizil.

Etwa auf halber Strecke des Lehrpfades sind die verschiedensten Walliser Rebsorten in Reihen nebeneinander gepflanzt und beschildert. Man darf hier nach Herzenslust probieren: Weiße Trauben wie Chasselas, Marsanne oder die sehr seltene Lafetschna; dunkle Beeren von Ancelotta, Cornalin oder Diolinoir. Von den meisten hat man noch nie gehört, zumal Walliser Weine außerhalb der Schweiz nur schwer zu bekommen sind. Fragt man Einheimische nach dem Grund, so ‧geben sie schmunzelnd kund, man trinke die Tropfen halt lieber selber.

Am Ende des Weges liegt zwischen den Reben die Stadt Sierre. Hier erhebt sich das Chateau de Villa. Im Schlösschen aus dem 16. Jahrhundert warten eine hochmoderne Önothek sowie ein „Sensorama“ zur Geruchsschulung auf den Weinliebhaber. Ein Stockwerk höher duftet es kräftig nach Käse. Fünf Walliser Bergkäse werden beim Raclette im Restaurant kredenzt. Die Kellnerin empfiehlt einen Sang de l’Enfer aus Salgesch. Das „Höllenblut“, ein rubinrot funkelnder Dole, mundet teuflisch gut.
Claudia Diemar