Griechenland

Erster auf Santorin

Das Original: Das Dorf Oia auf Santorin, wenn es noch nicht von Touristen übervölkert ist

Die Vorzeige-Inseln sind vor Saisonbeginn besonders reizvoll

Und die Miniatur-Kopie: Die handbemalten Häuschen aus Ton sind beliebte Souvenirs. Fotos: hs

Jedes der Gebäude ist verschachtelt und verwinkelt, hat strahlend weiße Wände, dazu die Andeutung von Blumenkästen unter den Fenstern. Jedes in der Straße hat eine in Hellblau lackierte Kuppel und von oben betrachtet ist all das schönstes Bilderbuch-Griechenland. 

Manchmal greift eine Hand nach der einen oder anderen dieser Kuppeln und sortiert das Szenario neu – oder klebt noch schnell ein neues Preisschild auf die kaum zwanzig Zentimeter hohen Häuschen.

Noch ist nicht viel los bei Giorgios Kakidakis in Dorf Oia auf der Inselgruppe Santorin. Noch verkauft er keine fünf der handbemalten Häuser aus Ton am Tag, dazu einige Kühlschrank-Magneten im knallblauen Santorin-Look oder ein paar Badelatschen mit schnörkeligem „Santorin“-Schriftzug auf dem Fußbett. Denn noch ist kaum einer da – Vorsaison auf den Kykladen, die Ruhe vor dem Sturm auf den Vorzeige-Inseln.

Ein paar Wochen dauert es noch, bis während der Hoch‧saison wieder jeden Tag gleich mehrere Kreuzfahrtschiffe Anker werfen und ihre Passagier-Hundertschaften in Beibooten an Land tendern. Und auch die meisten Charterflug-Verbindungen starten erst wieder Anfang und Mitte Mai.

Auf den griechischen Inseln ist die Saison schon immer kürzer gewesen als anderswo im Mittelmeer. Und wer im Winterhalbjahr kommen will, ist fast immer auf teurere Linienflüge angewiesen, muss in Athen oder Thessaloniki umsteigen und hat Mühe, ein geöffnetes Hotel zu finden. Den Sprung zu Ganzjahreszielen haben die Eilande bislang nicht geschafft – weil die Ägäis rauer ist als manch anderer Winkel Südeuropas, weil es hier gewaltig stürmen und kalter Wind durch die Gassen pfeifen kann.

Die Einheimischen sind dann fast unter sich und können sich vom Saisonrummel erholen. Sie streichen Fassaden wieder in Weiß, Fensterläden in Blau, reparieren alles, was während der Saison Schaden genommen haben könnte – und entstauben die zeitlosen Mitbringsel-Ladenhüter der letzten Saison, die mit ziemlicher Sicherheit im Sommer endlich über den Ladentisch gehen werden.

Einen großen Vorteil hat es, bereits vor Mitte Mai nach Santorin zu reisen: Jetzt bekommt man problemlos die besten Plätze in den Restaurants, Tische auf den engen Dachterrassen manch kleiner Altstadt-Gaststätte in Oia mit bestem Blick auf den viel gerühmten Sonnenuntergang über der Ägäis – im Sommer oft ein aussichtsloses Unterfangen. Noch bekommt man auch einen der begehrten wackeligen Holztische an der Kaimauer unten im Fischerort Ammoudi, wo Joy Kerluke gebratenen Oktopus und fang‧frische Dorade vom offenen Holzkohlegrill serviert, den ihr Mann Dimitrios zubereitet hat.

Kostis Psychas unterdessen hat neue Topfblumen angeschafft, sie in großen Kisten mit der Fähre vom Festland kommen lassen, um die Terrassen seiner typischen Höhlenhotel-Zimmer zu dekorieren. Diese wurden einst als Vorratskammern in den weichen Fels der Steilküste gegraben und gehören heute zu den begehrtesten Quartieren auf der Insel. Viele seiner Gäste reisen mit dem Privatjet an, manche sogar aus Übersee. Trotzdem lohnt es sich für ihn nicht, früher zu öffnen. Auch die Leute mit den eigenen Jets wissen nicht, wie schön es auf Santorin ist, wenn die Inseln aus dem Winterschlaf erwachen.

Nur einer muss sich ein bisschen länger gedulden als alle anderen: weil für eine abgelegene Bar am Meer mit großen Boxen und guter Musik einfach noch zu wenig los ist. Nikos Kaldrimidis ist Fremdenführer, lebt auf Santorin und sein Lieblingsplatz ist die Oeros Wave Bar mit ihren Liegen, Sofas und Hängesesseln direkt am Strand von Vlichada.

Nur braucht es für Party und Tanz genügend Publikum. Und weil das erst später einschwebt, wird der Club gerade erst wieder neu aufgebaut. Ein paar Strohdächer und Sonnenschirme hatte der letzte große Wintersturm mitgenommen. Nikos geht trotzdem schon mal hin, schaut, fasst mit an – und freut sich auf die wirklich heißen Sommertage, wenn hier wieder richtig was los sein wird. Aber fürs Erste ist Santorin noch mit dem Aufwachen beschäftigt.
Helge Sobik
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