Norwegen

Das lebende Lexikon vom Nissersee

Der Nissersee in der südnorwegischen Region Telemark.

Die Telemark-Region bietet viel Natur und Erholung mit Lerneffekt

Geschichtslehrer und Gästeführer: Svein Straumsnes. Fotos: fxm

Svein Straumsnes ist ein weit gereister Mann. In Vradal am Nissersee geboren, hat er nicht nur seine idyllische Heimat, die südnorwegische Telemark-Region, über 35 Jahre lang erkundet, er hat auch fünf Jahre im fernen Amerika gelebt. Dort hat es ihm aber auf Dauer nicht gefallen, das Heimweh wurde zu groß, er packte seine Sachen und zog wieder zurück nach Vradal. Zum Glück, meinen die einen. Ach, der Lebenskünstler Svein, die anderen.

Fest steht, dass Svein ein Multitalent ist, ein Mann, der lieber etwas unternimmt als sich zu beklagen. Außerdem ist er mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattet, er erzählt seine Geschichten immer mit einer Wendung, die seinen Zuhörern ein Lächeln ins Gesicht treibt.

So unterhält er in seinem Haus an der Hauptstraße nicht nur eine Galerie, sondern auch die Touristeninformation, ist Gästeführer und Bootsverleiher, Beeren- und Pilzsammler und ein lebendes Lexikon, zumindest was die Umgebung und die Menschen rund um den Nissersee betrifft.

Kein Wunder, denn er ist natürlich auch Geschichtslehrer und bietet den Internet-Suchmaschinen schon auf seinem T-Shirt die Stirn: Fuck Google, ask me. So kennt er jeden Baum und Strauch, jede Familienanekdote, jeden Fisch und jede Moltebeere in den Wäldern, Höhen und Landzungen am Schnittpunkt von Vravatnet- und Nissersee. Und suchen muss man Svein auch nicht, er ist einfach immer da und gibt gerne Tipps zu den schönsten Wanderroten, Fahrradstrecken und Angelrevieren in der Region, die jetzt auch eine Golfanlage bietet.

Mit seinen nur 400 Einwohnern ist Vradal dennoch eine Art Touristenzentrum, seit 1890 empfängt man hier Gäste. Sanfte Entwicklung nennt man das heute, denn der Ort hat sich trotz vielfältigen Angeboten für aktive Erholung seinen Charme bewahrt und auf überdimensionierte touristische Großprojekte verzichtet. Die Natur dankt es ihm, so gibt es in den Wäldern noch ‧Bären, Wölfe und Luchse.

Das gilt auch für die etwas nördlicher gelegene Region um Rauland und den Hardangervidda Nationalpark. Hier verlässt man die bewaldeten Höhen der Telemark und nähert sich dem größten Bergplateau Europas, dem Königreich der wild lebenden Rentiere. Eine Herde von über 12.000 Tieren durchzieht das Land, im neu eröffneten Nationalparkzentrum am Mosvatnsee lernt man alles über Flora und Fauna eines Gebietes, das fast so groß ist wie ganz Mallorca.

Mit Stale Rue leitet ein Nationalpark-Ranger das neue Zentrum, der so etwas wie der Gegenentwurf zu Svein ist: Sein Wissen ist zwar genauso groß, doch seine zurückhaltende Art pflegt eher das Understatement als die große Geste. Die ist angesichts der atemberaubenden Natur auch gar nicht nötig. Die Panoramen vom Falkeriset bei Rauland sind einzigartig. Den mit großen Felsblöcken errichteten Weg hinauf zum Falkengipfel hat übrigens ein Team von vier Sherpas aus Nepal gebaut. Wie das kam? Fragen sie Svein, er wird sie auf einen Kaffee einladen und sicher ganz offline die richtige Antwort präsentieren.
Franz-Xaver Müller