Belgien: Flandern bittet Nachwuchsgourmets zu Tisch
Sie posieren nackt mit einem Blumenkohl als Feigenblatt. Oder jonglieren mit Schweinsköpfen. Vor allem wetzen sie fotogen die Messer, nämlich für eine gute Sache: Die Verführung der Generation Fastfood, das Heranziehen junger Gourmets, bekocht von ebenso blutjungen Chefs.Jeden Herbst laden Flanderns junge Wilde dazu ein. Für Gäste von 18 bis 30 Jahren gibt es ein Gourmetmenü mit Weinbegleitung für weniger als fünfzig Euro. Und kein Küchenchef darf älter als 35 Jahre sein. Der Vorteil: Es können immer neue Kandidaten dabei sein, sie wachsen nach wie das Gemüse für die Suppe.
Küche in neuen Jäckchen
Seppe Nobels, Chef des „Graanmarkt 13“ in Antwerpen, geht es darum, die opulente flämische Küche in „neue Jäckchen zu stecken“. Die Küche grüßt mit einem Pilzschaumsüppchen, es folgt das Solo einer Messerscheidemuschel nebst Lachsgeleewürfeln und Avocadocremetupfern mit Kräutern. Alsdann betört ein kongeniales Duo von gebratener Jakobsmuschel und Blutwurst.
Nach dieser Ouvertüre folgt der erste Akt, ein Fischgang mit Makrele und deren Kaviar, begleitet von einer Creme aus weißen Rübchen mit Muschelgarnitur. Dann folgt eine Portion Rehcannelloni, gefüllt mit Rotkraut, Foie gras und Pecorino. Gault Millau ist diese kreative Küche immerhin 13 Punkte wert, Michelin empfiehlt die Adresse mit zwei Gabeln und Löffeln.
Drei weitere Vertreter der „jungen Wilden“ sind in Brügge beheimatet. Das Restaurant „Zeno“ findet sich in einem Altstadthaus, in dem sich der Gast wie bei Freunden fühlt. Chef Reinout Reiniere, 32 Jahre alt, wird ebenfalls von Gault Millau hoch gelobt.
„Werk des Tages“ nennt sich das jeweils aktuelle Angebot, das mit kleinen Verführungen beginnt: Winzige Windbeutel mit Käse- und Biercreme sowie einer einzelnen, mit sieben Kräutern gewürzten Miesmuschel und einer Kürbissuppe, die in der Frucht serviert wird. Der Fischgang mit einer Scholle ist exzellent. Das Finale besteht aus Schokolade und Hibiskus in halb gefrorenem Zustand.
Chefs ohne cholerische Auftritte
Brügge ist ohnehin ein Mekka der Feinschmecker. Das malerische Städtchen lockt mit mehreren Michelin-Sternen sowie knapp zwei Dutzend von Gault Millau empfohlenen Adressen, darunter mehrere Nachwuchsköche.
„Junge Wilde“ unter Küchenchefs gibt es auch anderswo, etwa in Deutschland oder Skandinavien. Aber Belgien ist ein kleines Land und die kulinarischen Adressen in Flanderns „Lekkerland“ sind so dicht gesetzt, dass sich die jungen Chefs hier wirklich anstrengen müssen.
Eine Stippvisite im nahen Gent muss noch sein. Dort kocht Olly Ceulenaere auf. 1979 geboren hat er bereits knapp das Alter der jungen Wilden überschritten. Der Küchenbereich ist eine offene, gläserne Bühne. Sieben Mann tanzen das Ballett zwischen den Positionen in fast lautloser Eintracht.
„Alles was gelingt, ist ein Ergebnis von Teamwork“, sagt Ceulenaere gut gelaunt, als der letzte Gast glücklich beim Dessert sitzt. Das Klischee des Chefs mit Allüren und cholerischen Auftritten hat ausgedient.
Claudia Diemar