Spanien

Andalusien: Die Schlucht ruft

Einer der Höhepunkte der 7,7 Kilometer langen Route ist die Drahtseilbrücke 100 Meter über dem Abgrund – mit Blick auf die Schlucht und den Stausee.

Einer der Höhepunkte der 7,7 Kilometer langen Route ist die Drahtseilbrücke 100 Meter über dem Abgrund – mit Blick auf die Schlucht und den Stausee.

Der Caminito del Rey zählt zu den schönsten Wanderwegen Spaniens

Vorher und nachher: Der neue Steg verläuft oberhalb des alten.

Vorher und nachher: Der neue Steg verläuft oberhalb des alten. Fotos: pra

Hier kommt nicht jeder rein: Der Zugang zu Andalusiens neuer Touristenattraktion ist zwar bislang kostenlos, doch streng limitiert. Nur 800 Besucher pro Tag werden in den Caminito del Rey eingelassen, ohne Voranmeldung geht gar nichts, und in dem Online-Buchungstool ist kaum ein freier Termin zu finden.

Nun stehen wir am Eingang der Schlucht im Hinterland von Malaga und sind ein bisschen ängstlich. Zur Anmeldung ist ein Ausweis erforderlich – „aus versicherungstechnischen Gründen“, heißt es. Und dann werden Sturzhelme ausgegeben. Worauf haben wir uns bloß eingelassen?

Keine Angst vor Höhenangst
Wer Google nach dem 2015 wieder eröffneten Caminito del Rey – zu deutsch „Königspfad“ – befragt, stößt auf reißerische Schlagzeilen. Vom „gefährlichsten Wanderweg der Welt“ ist da die Rede, von Nervenkitzel und Absturzgefahr, von tragischen Todesfällen in früheren Jahren.

Aber Bange machen gilt nicht. Wir setzen unsere Helme auf und durchschreiten die Absperrung. Der Weg beginnt unspektakulär. Langsam führt er vom Stausee einige Minuten bergab, mitten hinein in die Schlucht.

Doch dann verlassen wir festen Boden: Der Weg wird zum Holzsteg, der sich an den steil abfallenden Felswänden festkrallt. Bald stehen wir mitten in dem Spalt, den sich der Rio Guadalhorce hier ins Gebirge geschnitten hat – bis zu 200 Meter tief und stellenweise nur wenige Meter breit. 100 Meter unter uns fließt das Wasser, über uns türmt sich der rötliche Fels und lässt nur einen Streifen des tiefblauen Himmels sichtbar. Und weit vor uns erstrahlt jenseits der Schlucht die frühe Mittagssonne auf dem kahlen Bergrücken. Überirdisch!

Alle schauen, staunen, fotografieren, und unsere Gruppe verteilt sich immer mehr, zieht sich über die gigantischen Steilwände wie eine Ameisenspur. So spektakulär der Ausblick ist, so wenig Anstrengung kostet dieser Weg. Er verläuft vielfach auf gleicher Höhe, ist mindestens einen Meter breit und bestens gesichert. Weder übermäßige Kondition noch alpinistisches Geschick sind erforderlich – Aktivurlauber könnten fast enttäuscht sein.

Ein grünes Tal als Atempause
Das war nicht immer so: Ein Blick in die Tiefe zeigt uns, wie der Caminito del Rey früher aussah. Der neue Pfad ist nämlich oberhalb des historischen, 1901 bis 1905 entstandenen Vorgängers angelegt worden. Die Überreste sind allenthalben zu sehen und lassen erahnen, wie halsbrecherisch die Durchquerung der Schlucht einmal gewesen ist.

Angelegt wurde der Caminito als Transportweg für den Bau der Talsperre am Guadalhorce. Als der spanische König Alfonso XIII. 1921 zur Eröffnung des Großprojekts kam, durchschritt er auch den Schluchtenweg, der seither den Namen „Königspfad“ trägt.

Der ursprünglich aus Holz gebaute, später vielfach mit Beton verstärkte Steg verfiel ab den 50er Jahren immer mehr, und nachdem mehrere abenteuerlustige Kletterer zu Tode gekommen waren, sperrte man ihn im Jahre 2000 komplett. Das millionenschwere Renovierungsprojekt kam lange nicht in Gang, erst im März 2015 konnte die Wiedereröffnung gefeiert werden.

Der Caminito del Rey hat jetzt zwar nichts mehr von seiner früheren Waghalsigkeit, geblieben ist aber ein Naturerlebnis, das seinesgleichen sucht. Die Dramaturgie der 7,7 Kilometer langen Route ist nahezu perfekt: Nach der ersten spektakulären Felsenge mit ihren schroffen Kalksteinwänden folgt eine Atempause: Die Schlucht öffnet sich zu einem kleinen Tal, dem Valle del Hoyo. Hier führt der Weg durch duftenden Pinienwald, wir sehen an den Bergen die Gänsegeier kreisen, Ziegen laufen uns über den Weg.

Der dramatische Höhepunkt der Tour ist der zweite Felseinschnitt: breiter und heller, aber noch höher und zerklüfteter als der erste. Die Steinwände scheinen zum Teil wie bizarre Wasserfälle in die Tiefe zu stürzen, Ausbuchtungen und Vorsprünge lassen den Weg im Zickzack verlaufen.

Wie eine Schneise im Fels
Der Fluss schlägt sich hier eine Schneise zum nächsten Stausee, dem Tajo de la Encantada. Kurz vor dem Ausgang aus der Enge noch eine kleine Herausforderung für Ängstliche: In gut 100 Metern Höhe überspannt eine 20 Meter lange Drahtseilbrücke die Schlucht. Wer beim Überqueren nicht wagt, den Blick nach unten zu richten, hat genug fantastische Anblicke, um sich abzulenken: nach links, zurück in das Licht- und Schattenspiel der Schlucht, oder nach rechts, wo der Stausee in der Sonne glitzert.

 

Infos
Ausführliche Informationen zum Schluchtenweg gibt es auf der Website www.caminitodelrey.info, ebenso das Reservierungstool für Besuche. Im Frühjahr soll ein neues Besucher-Management eingeführt werden. Details stehen aber noch nicht fest. Wikinger Reisen hat eine Wanderreise in Andalusien mit dem Caminito del Rey neu im Programm.

Klaus Pranger