Türkei

Istanbul: Schmelztiegel der Religionen

Die Blaue Moschee am Goldenen Horn von Istanbul. Foto: vedatzorluer/www.pixabay.de

Die Metropole wird zurzeit von Touristen gemieden, bleibt aber ein spannendes Ziel

Das Lieblingsprojekt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist nicht mehr zu übersehen: Auf Istanbuls asiatischer Bosporusseite entsteht derzeit eine Moschee mit den höchsten Minaretten der Welt und mit Platz für 50.000 Gläubige. 

Auch ohne das Bauwerk mit vier über 100 Meter hohen Minaretten ist der Islam in den vergangenen Jahren deutlich präsenter geworden in einer Stadt, die lange Zeit als Trendziel galt und von Touristen überrannt wurde. Es wäre allerdings falsch, Istanbul nur darauf festzulegen. Denn die Stadt ist auch heute noch ein spannender Schmelztiegel der Religionen. Und: Kopftücher sind osmanische Tradition, schwarzverschleierte Frauen hingegen sind meistens keine Einheimischen, sondern Araberinnen.

Ostergrüße von Erdogan

Vom Schmelztiegel der Religionen zeugen nicht nur unzählige Kirchen und Synagogen, sondern auch viele intakte Gemeinden wie das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel mit seinen griechischen Priestern und Großarchimandrit Vissarion Komzias. Er ist das Oberhaupt von rund 6.000 griechisch-orthodoxen Christen in Istanbul und erhält jedes Jahr sogar Ostergrüße vom Präsidenten und vom Premierminister der Türkei. Seine Kirche ist offen für alle: „Jeder kann kommen und beten“, sagt Komzias. 

Das gilt auch für das armenisch-apostolische Patriarchat unter dem Vorsitz von Bischof Sahak Mashalian: 33 Kirchen in Istanbul gehören zu seinem Reich, besucht werden sie jedes Jahr von über 50.000 Gläubigen. Sitz und Kathedrale des Patriarchen befinden sich im Viertel Kumkapi im Istanbuler Stadtteil Eminönü.

Von außen kaum erkennbar ist dagegen die Neve-Shalom-Synagoge im Galataviertel. Allen Vorurteilen zum Trotz berichtet Rabbi Ishac Alaluf von einem normalen, unproblematischen Gemeindeleben mit guten Beziehungen zur Regierung. Verblüffend auch: Vier von zehn Gläubigen heiraten Angehörige anderer Religionen.

„Rabbis und Priester im Gebiet meiner 51 Moscheen machen mich glücklich“, gesteht Mustafa Bilgic, Mufti des Stadtteils Sisli, unter Verweis auf Jesus und Moses als Propheten neben Mohammed. 

Ramadan-Essen in der Synagoge

Stolz berichtet er, dass jede seiner Moscheegemeinden vier bis fünf Flüchtlingsfamilien versorgt. Hasspredigern spricht er den wissenschaftlichen Hintergrund ab. „Sie werden erst verwarnt, dann versetzt. Bisher hat noch keiner weitergemacht“, erläutert er sein Rezept.

Wie gut verschiedene Religionen in Istanbul miteinander auskommen, zeigt Kuzguncuk auf der asiatischen Seite. Obwohl nur noch acht Juden in dem Stadtteil leben, sind die Gottesdienste gut besucht. Richtig eng wird es zum Ramadan-Essen: Dann kommen 250 Gläubige, darunter Moslems und armenisch-orthodoxe Christen, zum Feiern in die Synagoge.

Christian Boergen