Spanien

Pyrenäen: Mystik in den Bergen

Älter als die Romanik: Pilgerkirche Sant Quirze de Pedret

Älter als die Romanik: Pilgerkirche Sant Quirze de Pedret

Uralte Kirchenkunst wartet versteckt in der katalonischen Region

Der Kreuzgang der Kathedrale von Seu d’Urgell, deren Bischof auch Staatsoberhaupt von Andorra ist

Der Kreuzgang der Kathedrale von Seu d’Urgell, deren Bischof auch Staatsoberhaupt von Andorra ist. Fotos: mw

Wenn man so wolle, sei die Kirchenruine das Ergebnis einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise. Eudald Sera lacht und drückt knarzend einen Flügel der schweren Eichenholztür auf. Nur etwas mehr als eine Autobahnstunde nördlich von Barcelona und vorbei am berühmten Klosterberg Montserrat thront die Pilgerkirche Sant Quirze de Pedret auf einem sonnigen Felsvorsprung der spanischen Vorpyrenäen. Während unten an der Küste Tausende sich vor der Baustelle von Antoni Gaudis Sagrada Famila die Füße platt stehen, ist hier oben abgesehen von Herrn Sera kein Mensch.

Dabei ist Sant Quirze die wichtigste vorromanische Kirche der Region, noch aus der Zeit der Westgoten. Man erreicht sie über eine Steinbrücke aus dem 13. Jahrhundert über den Llobregat und dann einen uralten Pilgerpfad bergwärts.

„Damals im neunten Jahrhundert begann die Rückeroberung Spaniens von den Sarazenen“, erklärt der Historiker Sera. Mit Burgen, Klöstern und Kirchen hätten die Christen das Land überzogen, um es in Besitz zu nehmen. Doch mit der Frontlinie zogen sie weiter – nach Barcelona und nach Westen. Sant Quirze fiel in Vergessenheit und mit ihr eine Vielzahl anderer frühromanischer Kirchenbauten. „Die Gotik überformte die Kirchen nur da, wo auch Geld war“, sagt Sera.

Die romanischen Kirchen im Val de Boi etwa haben mit ihrem Welterbestatus unter Kulturtouristen mittlerweile einige Bekanntheit erlangt. In den verschwiegenen Tälern der Vorpyrenäen hingegen segeln noch immer die Bartgeier einsam in den Aufwinden der schroffen Kalkberge.

Das möchte die Provinzialregierung Kataloniens ändern. Seit 2011 bringt sie die verlassene Region mit Europas größtem Festival für Alte Musik zum Klingen – und das über Grenzen hinweg. „Wir spielen in diesem Jahr 43 Konzerte in 28 Dörfern in Spanien, Frankreich und Andorra“, sagt Josep Maria Dutren, der künstlerische Direktor des Festivals de Musica Antiga dels Pirineus. Rund 4.000 Zuhörer kamen 2016. Jeder fünfte war einer jener Touristen, die Katalonien so gerne von den überfüllten Stränden in die Berge locken würde.

Doch auch außerhalb der Festivalwochen lohnt ein Besuch der Region für Kulturliebhaber und Wanderer. Ein besonderes Schmuckstück ist die im Jahr 1040 geweihte mächtige Kathedrale von Seu d’Urgell, die fast unbeschadet im romanischen Baustil erhalten blieb. Nur durch die große Rosette fällt am Nachmittag ein Lichtstrahl in das fast vollständig dunkle Innere direkt auf den Altar. In der kleinen Kirche Sant Esteve d’Olius vor den Toren der Stadt muss man selbst die Altarkerzen anzünden, um in der finsteren Krypta überhaupt etwas zu erkennen.

Zurück in der Pilgerkirche Sant Quirze de Pedret kommt beim Anblick uralter Fresken eine Ahnung früher Frömmigkeit auf. Ein unbekannter Meister malte hier vor 1.000 Jahren eine Figur mit aus‧gestreckten Armen an die Wand als Zeichen für den Tod. Daneben flattert ein Vogel stellvertretend für ein hoffentlich ewiges Leben.
Martin Wein
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