Italien

Verona: Ganz große Oper

Im Amphitheater von Verona lassen sich die Zuschauer verzaubern

Im Amphitheater von Verona lassen sich die Zuschauer verzaubern.

Italien: Im größten Freilichttheater der Welt organisiert Claqueur Giancarlo Soave den Applaus

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, vor allem aber diesem Anfang jetzt und hier: zur Blauen Stunde nach Sonnenuntergang, wenn sich der Vorhang der Nacht über die Dächer der Stadt senkt. Im Amphitheater von Verona erlöschen dann auch die Scheinwerfer. Tausende von Lichtpünktchen flackern im Parkett und auf den Rängen, bewegen sich wie eine Kompanie von Glühwürmchen, die Ballett tanzt.

Als man hier 1913 zum ersten Mal Verdis „Aida“ aufführte, gab es keinen Strom an den Sitzplätzen: Wer sein Libretto studieren wollte, musste eine Kerze mitbringen. Das Ritual des Kerzenanzündens hat bis heute überlebt.

13.500 Zuschauer finden Platz
Auf der Bühne der Arena werden sie gleich die ganz große Oper aufführen. Unter freiem Himmel, ohne Mikrofon oder Verstärker, weil die Römer schon vor 2.000 Jahren etwas von Akustik verstanden. Die ersten Takte von Verdis Werk erlösen die 13.500 Besucher in der Arena von der Erregung, die sich bei ihnen angestaut hat. Doch einer im Publikum bekommt feuchte Hände. Und konzentriert sich.

Er kommt zu jeder Vorstellung, braucht jedoch keine Eintrittskarte. Ob sie nun wie heute Abend die in Verona schon immer populäre „Aida“ spielen oder andere Stücke: Er kennt alle Opern auswendig, singt sie im Kopf mit. Giancarlo Soave ist der Claqueur der Arena. Er organisiert den Applaus der 13.499 anderen Zuhörer – ehrenamtlich, ohne Bezahlung. Wenn der Tenor zur Arie „Celeste Aida“ abhebt und die holde Sklavin als Königin seiner Gedanken rühmt, beginnt es in Signore Soave zu kribbeln. Noch ein paar Takte, der Solist hält inne – und der Claqueur setzt ein.

„Bravo!“, ruft er, klatscht in die Hände, bricht damit den Bann der schweigenden Masse. Vom Parkett mit den gepolsterten Sesseln bis hinauf in die letzte Reihe des Amphitheaters, wo man auf den kühlen römischen Steinquadern sitzt, frisst sich der Applaus durch die Reihen. „Ich mache den Künstlern Mut. Und helfe dem Publikum: Niemand will sich mit einem Klatschen zum falschen Zeitpunkt blamieren.“

Nie etwas Schlechtes gerufen
Der rüstige Mann wird bald 80 und hat früher als Krankenpfleger gearbeitet. Doch sein Leben gehört der Oper. „Vor vielen Jahrzehnten hat mich ein Tenor einmal gefragt, ob ich für ihn den Applaus machen könne. Seither bin ich immer hier.“

Täuscht er das Publikum und die Künstler nicht mit seinen Beifallsbekundungen? „Ach was“, sagt der Claqueur, „wem eine Vorstellung nicht gefällt, dem gefällt sie nicht. Gegen mehr als 10.000 Besucher, denen eine Inszenierung nicht passt, kann ich beim besten Willen nicht anklatschen.“

Doch was ist, wenn ihm eine Darbietung missfällt? Muss man ihn dann fürchten? Wird der Claqueur dann zum Buhmann? „Nein. Ich habe noch nie etwas Schlechtes gerufen“, entgegnet Soave. Sein Klatschen sei immer ehrlich: „Nach Verona kommen die besten Sänger, und ich lasse mich jeden Abend aufs Neue verzaubern.“ Wenn der Funken Magie überspringt, der in jeder Oper steckt, hält es ihn nicht mehr auf seinem Sitz. „Viva Maestro!“, ruft er. Und weil auch dem allergrößten Meister Ehre gebührt, schallt dann noch ein „Viva Verdi! Viva! Viva!“ durch die Arena.

Helge Bendl

Opernfestival Verona
Das Opernfestival 2018 läuft vom 22. Juni bis 31. August. Geplant sind 47 Vorstellungen (unter anderem Aida, Carmen, Turandot, Nabucco und Der Barbier von Sevilla). Pauschalarrangements bieten zum Beispiel Ameropa, FTI, Studiosus und Windrose.