Portugal

Portugal: Im Land der alten Eichen

Wo die Gegend das ganze Jahr nach Sommer duftet: unterwegs in den Korkeichenwäldern im Hinterland der Algarve. Foto: hs

Im Hinterland der Algarve die Natur genießen

Der alte Baum bekommt nur selten Besuch. Manchmal wandern ein paar Urlauber mit Picknick-Rucksäcken vorbei, selten breiten sie ihre Decken unter ihm aus. Aber Jose Galego schaut ein-, zweimal im Jahr vorbei. Er kommt seit Kindheitstagen, kennt den Baum, seit er denken kann.

Er streicht fast zärtlich mit der Hand über den Stamm, hält die Nase an die Rinde, und für eine ‧Sekunde sieht es so aus, als wollte der alte Mann die knorrige Eiche küssen. Galego schaut den Stamm hinauf, schnuppert an anderen Stellen, streichelt. Und macht sich am Ende eine Notiz.

Manchmal hockt er sich dann ins Gras, lehnt seinen Rücken an den kräftigen Stamm, holt Wurst, Brot und Käse heraus, hält oftmals auch ein kurzes Mittagsschläfchen, während die Sonne hier im Hinterland der Algarve durch die Blätter blinzelt. Als ob der Baum und er alte Freunde wären.

Korkeichen werden bis zu 150 Jahre alt

Alle neun Jahre bringt Galego eine Schäl-Axt mit und einen Traktor samt Anhänger. Dann ist er zur Ernte da, nimmt seinem Baum und ein paar Dutzend anderen in dem Waldstück hier bei Farrobo eine halbe Autostunde von Faro die Rinde ab. Er erntet den Kork – und achtet darauf, die unterste Zellschicht nicht zu verletzten, damit alles nachwächst und er möglichst lange und oft ernten kann. Und möglichst viel. 150 Jahre alt kann so ein Baum werden – und bis zu 18-mal geschält werden.

Hat er die Rinde abgetragen, klopft er den Baum zärtlich, als wären sie alte Kumpel, die sich jetzt länger aus den Augen verlieren würden und doch sicher sind, dass es eines Tages ein Wiedersehen geben wird. Galego sprüht mit Farbe eine Jahreszahl auf den Stamm oberhalb der Erntegrenze – die 17 für 2017. Zur nächsten Ernte 2026 wird jemand anders kommen. Galego wäre dann über 90.

Die Wälder hier im Süden Portugals sind eher Haine als Dickicht, viele Korkeichen sind gut zugänglich. Sie sind Nutzland, und die Bäume brauchen Freiraum, um reichlich Rinde zu entwickeln. Seit Jahrhunderten ernten Kleinbauern hier Kork und verkaufen das Rohmaterial an weiterverarbeitende Betriebe. Noch vor zehn Jahren gab es 60 solcher Fabriken hier. Sechs sind es heute geblieben – weil die Nachfrage nach Kork rückläufig ist.

Ein Stück Portugal erhalten

Was aus den Wäldern werden soll, wenn ihr Rohstoff nicht mehr gebraucht wird? Aus diesen grünen Bändern, die sich scheinbar endlos über sanfte Hügel spannen und zwischen denen manchmal eines dieser kleinen Dörfer mit den kopfsteingepflasterten Straßen und den weiß getünchten Häusern kauert? Nichts, solange niemand das Land für etwas anderes braucht.

Das wäre das Beste – jedenfalls für das Gesicht der Gegend. Es würde ein Stück altes Portugal in eine neue Zeit hinüberretten. Der Tourismus hilft dabei. Wanderwege werden ausgeschildert, Bereiche unter Naturschutz gestellt, die touristische „Route des Korks“ wurde ins Leben gerufen.

Cesar Correia gehört die Korkfabrik Nova Cortica, er setzt auch auf die Ideen seiner Tochter: Sie hat Handtaschen aus Kork entwickelt, setzt das flexible Material wie Leder ein.

Ob er als Fabrikant eine Beziehung zu den Bäumen hat? „Oh ja“, antwortet er, „zu einem besonders. Zu der Korkeiche, unter der ich zum ersten Mal meine Frau geküsst habe.“ Den Baum gibt es noch heute. Sie gehen an den Feiertagen mit ihren Kindern dorthin, machen Picknick. Und manchmal kommen Fremde vorbei, die grüßen: die ersten Wanderurlauber auf Tour durch die Korkeichenwälder.
Helge Sobik
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