Großbritannien

Gibraltar: Thanks statt Gracias

Der Weg nach Gibraltar führt für Fußgänger und Autofahrer quer über die Landebahn des Flughafens.Bei Starts oder Landungen gehen die Schranken runter wie bei einem Bahnübergang

Empfang bei den Berberaffen auf dem uneinnehmbaren Felsen

Deko, so weit das Auge reicht:Der Nationalfeiertag steht an

Probier’s mal mit Gemütlichkeit: Ein Berberaffe im Upper Rock Nationalpark. Fotos: fx

Der Fahrer lenkt den kleinen Bus entlang der Stadtmauer, an der so viele Heere verschiedener Nationen im Lauf der Geschichte gescheitert sind. Linkerhand trennt sie die Altstadt vom „neuen“ Gibraltar. „Hier habe ich als Kind noch Schwimmen gelernt“, erklärt der Fahrer und deutet dabei auf die Straße direkt vor ihm. Auch die vielen Stahlringe in der Mauer bezeugen, dass hier einst Schiffe vertäut wurden. Wo heute Passanten gehen und Autos fahren, war früher Meer.

Das alles ist das Ergebnis intensiver Maßnahmen zur Landgewinnung der letzten Jahrzehnte. Teils mit aufgeschüttetem Sand, teils mit Steinen und Geröll aus dem markanten Felsen von Gibraltar selbst hat man hier dem Meer einiges abgeluchst, um mehr Platz für Neubauten zu schaffen. Jetzt expandiert Gibraltar nach Osten. Gen Westen ist die Erschließung nahezu ausgereizt. Es fehlt nicht viel und man würde an spanisches Gebiet docken – Gott bewahre!

Überall der Union Jack

Kurz vor dem Nationalfeiertag am 10. September ist der trubelige Stadtkern bis zum Gehtnichtmehr dekoriert, gehüllt in ein Flaggenmeer, in dem sich das gibraltarische Wappen und der Union Jack in regelmäßigem Wechsel zeigen. Unter den Ecklokalen finden sich klassische Pubs mit Fish and Chips, aber auch kleine Bodegas mit Jamon Iberico. Man zelebriert das starke Bekenntnis zur britischen Krone. 1967 verwarfen beim Volksentscheid die Gibraltarer mit etwas mehr als 12.000 zu 44 Stimmen die Rückkehr zu Spanien – die Halbinsel blieb britisches Überseegebiet wie seit 1704. Und zwar das allerkleinste. Ein weiteres Referendum in den 2000ern brachte abermals ein fast einstimmiges Ergebnis. Hier gibt es rote Telefonzellen und Wachwechsel, die Währung ist das Pfund, Landessprache ist Englisch – nur zum Fluchen bedient man sich hier dem Spanischen.

Luxus ganz erschwinglich

Das Leben läuft analog zu Oscar Wildes schönem Satz: „Ich kann im Notfall auf das Nötigste verzichten, niemals aber auf den Überfluss.“ Die Basics in puncto Lebenserhaltung sind teuer, Luxus ist hingegen günstig. Touristen – bis zu elf Millionen besuchten die 34.000-Einwohner-Exklave im Schnitt noch vor der Pandemie pro Jahr – tragen kiloweise Handtaschen und Designer-Mode, teure Uhren und Sonnenbrillen, Schnaps und Zigaretten zu Schleuderpreisen ohne Mehrwertsteuer bis zur Zollfreigrenze zurück nach Spanien – zurück in die EU.

Gibraltar war klar gegen den Brexit, musste aber mit Großbritannien gehen, als das Kind im Brunnen war. Nach Verhandlungen einigte man sich dann in letzter Sekunde: Gibraltar verlässt den Staatenbund, tritt jedoch dem Schengenraum bei. Wirklich grün sind sich Gibraltarer und Spanier dennoch nicht.

Wir steigen wieder in den Bus und verlassen die Altstadt. Die längste Zeit war Gibraltar nicht der ruhige Fels in der Brandung wie er am Horizont den Anschein macht, sondern mehr Stein des Anstoßes. Hier, wo Atlantik und Mittelmeer so friedfertig ineinander fließen, wurde häufig um die Gebietshoheit gerungen. Zuletzt griff Franco nach dem Felsen.

Oben angekommen wollen wir uns die Tropfsteine der St. Michael‘s Höhle ansehen. Leichter gesagt als getan – keiner aus der Gruppe kann sich von den drolligen Berberäffchen loseisen, die die Besucher am Parkplatz willkommenheißen. Gut, dass heute überwiegend digital fotografiert wird. Der tierische Empfang hätte sonst mehrere Rollen Film gekostet.

Fest in Affenhand

Rund 250 Berberäffchen wohnen hier im Naturschutzgebiet Upper Rock auf über 400 Metern und genießen – neben dem Blick auf das nur 14 Kilometer entfernte Marokko – Obst, Mais und Nüsse, die ihnen die Regierung hier tagtäglich vorbeibringt. Medizinisch werden sie obendrein regelmäßig versorgt. Ihre Lebenshaltungskosten sind dementsprechend sehr gering – weswegen sie meistenteils zu unrecht als dreiste Diebe gelten. Respektvoller Umgang jedoch ist keine Einbahnstraße. Wer nett zu ihnen ist, bekommt das auch erwidert.

Die kecken Makaken erinnern daran, dass die Frage der Gebietshoheit, von nationalen Interessen mal ganz abgesehen, hier oben entschieden wird. Gibraltar gehört den Affen, mit denen muss man sich gut stellen – ganz egal, ob Staatsoberhaupt oder Tourist.

Felix Hormel
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