Italien

Alberghi Diffusi: Neues Leben in alten Mauern

Oben das historische Zentrum, darunter Weinberge und historische Trulli-Rundhäuser: Locorotondo zählt zu den schönsten Orten Apuliens

Oben das historische Zentrum, darunter Weinberge und historische Trulli-Rundhäuser: Locorotondo zählt zu den schönsten Orten Apuliens

Das Hotelkonzept gibt es in 100 Dörfern und Städtchen Italiens

Die drei aus der Via Aprile: Angela, Cosimina und Tonina sind die Nachbarinnen der Besucher

Die drei aus der Via Aprile: Angela, Cosimina und Tonina sind die Nachbarinnen der Besucher

Typisch für den Ort Locorotondo in Apulien sind die mit Stein gedeckten Dächer

Typisch für den Ort Locorotondo in Apulien sind die mit Stein gedeckten Dächer. Fotos: hb

Keine Scheu! Unser Italienisch reicht zwar nur für ein „buongiorno signore“. Was soll’s: Auf dem Weg zum ersten Cappuccino des Tages muss man seine Nachbarn grüßen, um nicht als unhöflicher Teutone abgestempelt zu werden. Die drei alten Damen, die über die Via Aprile herrschen, eine blumengeschmückte Gasse in der Altstadt von Locorotondo, antworten mit einem Wortschwall. Mamma Mia!

Angela, Cosimina und Tonina sind guter Laune: Endlich ist wieder etwas los vor jenem Haus in der Via Aprile, wo sie strickend ihre Zeit verbringen. Das war nicht immer so.

Noch vor 20 Jahren wollte kaum jemand mehr im Zentrum von Locorotondo wohnen, hier im Hinterland der Städte Bari und Brindisi in Apulien. In den Neubausiedlungen der Umgebung waren die Wohnungen komfortabler als in den historischen Häuschen mit ihren Spitzdächern aus Natursteinen.

Heute leben hier wieder tausend Menschen. Entlang der Straße mit dem Blick über die Weinberge ins Valle d’Itria, dessen kegelförmige Trulli-Häuser zum Unesco-Welterbe zählen, haben so viele neue Bars und Restaurants eröffnet, dass dort mittags und abends eine Fußgängerzone eingerichtet wird. Auch ins Zentrum zu den Rentnerinnen in der Via Aprile kommen Touristen. Und damit Leute, mit denen die Damen reden können. Oder zumindest über sie.

Das liegt auch am Sotto le Cummerse. Das ist keine typische Unterkunft, sondern ein Albergo Diffuso – ein „verstreutes Hotel“. Die Rezeption ist am Ortseingang von Locorotondo, doch statt per Aufzug kommt das Gepäck per Lastenfahrrad ins Zimmer. Die verteilen sich nämlich auf elf historische Häuser im ganzen Ort.

Albergo Diffuso heißt das Konzept, bei der eine ganze Gemeinde zum Gastgeber wird und man als Besucher Tür an Tür mit den Einheimischen wohnt. Alberghi Diffusi gibt es inzwischen im ganzen Land, vom Aostatal im Norden bis hinunter an den Stiefelabsatz.

Entwickelt hat das Konzept Hotel-Manager Giancarlo Dall’Ara in Norditalien. „1976 hatte ein Erdbeben viele Dörfer verwüstet“, erzählt er. „Die Häuser wurden wieder aufgebaut, standen aber leer, weil die Bewohner wegzogen.“

Entvölkerte Dörfer gibt es auch in anderen Regionen Italiens, wenn die Jungen dort keine Arbeit finden und nur noch die Alten ausharren.

Mit einem nachhaltigen Tourismuskonzept könne man solchen Orten vielleicht neues Leben einflößen, überlegte der Experte. „Aber nicht mit Neubauten, die das Ambiente zerstören. Und nur gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung: Von Hoteldörfern, in denen nur Touristen leben, halte ich nichts.“

Um die lokale Wirtschaft zu fördern, haben die Alberghi Diffusi keine Restaurants: Die Gäste sollen stattdessen bestehende Lokalen besuchen. „Man will und soll das essen, was auch die Einheimischen bestellen. Und nicht ein eigens kreiertes Touristen-Menü“, kommentiert Giancarlo Dall’Ara.

Im Unterschied zu Airbnb und anderen Portalen, denen immer wieder vorgeworfen wird, sie verdrängten Einheimische, gibt es aus Prinzip keine Alberghi Diffusi in größeren Städten. Dort würde das Konzept ohnehin nicht funktionieren, meint Dall’Ara: „Es fehlt die Atmosphäre.“

Von Helge Bendl


Info: Albergi Diffusi über Veranstalter buchen

Alberghi Diffusi gibt es inzwischen in etwa 100 italienischen Orten. Zahlreiche Veranstalter haben die Häuser im Programm, darunter TUI das Trullidea in Alberobello sowie das Dimora Sant’Anna in Carovigno (alle in Apulien), Dertour das Sextantio im Bergdorf Santo Stefano di Sessanio (Abruzzen) und das Grotte della Civita in Matera (Basilikata), FTI das Aquae Sinis in Oristano (Sardinien) und das Scicli im Süden Siziliens.

Alle Alberghi Diffusi listet das Online-Portal www.alberghidiffusi.it auf.

Anzeige