Türkei

Ani und die Gänsefrau von Kars

Historische Festungsruinen auf felsigem Terrain mit bedrohlich dunklem Wolkenhimmel, umgeben von trockenem Grasland und Gestein

Die Ausgrabungen von Ani gehören heute zum Weltkulturerbe. Foto: mg

Eine Rundreise durch die Ost-Türkei bringt Reisenden einen neuen Einblick in das Land der Osmanen und zeigt, wie die einstmals abgelegene Region aufgeholt hat

Gastgeberin in schwarzer Kleidung und Kopftuch steht lächelnd vor einer Wand mit traditionellem türkischem Teeservice und Auszeichnung.

Nuran Öyilmaz in ihrem Restaurant „Gänsehaus“ in Kars. Foto: mg

Man sieht Nuran Öyilmaz an, dass sie eine selbstbewusste Frau ist. Gerade haben wir die traditionellen kulinarischen Spezialitäten ihrer „Gänsehaus“-Küche genossen, nun serviert die Kellnerin Tee und türkischen Kaffee. Ungefragt setzt sich die Restaurant-Inhaberin zu uns, lächelt uns an, beginnt zu erzählen. Und wir spitzen die Ohren. Denn die Urkunden und Zeitungsartikel an der Wand hatten uns schon vorher verraten: Diese Frau ist etwas Besonderes.

Eine der ersten Unternehmerinnen

Früh zur Halbwaise geworden, war für Nuran klar: Ihr Leben sollte nie abhängig von einem Mann sein. Sie wollte ihr eigenes Geld verdienen und selbst darüber entscheiden, wie sie es ausgibt. 16 Jahre lang stickte sie und verkaufte ihre Waren in der Region. Als die Nachfrage nach Stickereien nachließ, eröffnete sie 2007 ein kleines Restaurant.

„Ich hatte mich gewundert, dass niemand in Kars traditionelle Küche anbietet“, erzählt Nuran, die über einen eigenen Instagram-Account verfügt und unbedingt mit „Du“ zitiert werden will. Da sie von ihrer Mutter viele Rezepte speziell für Gänse-Gerichte hatte, begann sie ihr kleines Business. Die Köche anderer Restaurants wunderten sich. „Vor allem die Männer lachten mich aus und gaben mir keine sechs Monate.“

Kars galt schon immer als Stadt der Gänse, war damals aber noch nicht so weltoffen wie heute. Eine Frau als Unternehmerin? Füher ein Unding in Kars. „Vorurteile wie diese haben mich nie gestört“, sagt Nuran. Genauso wie sie es heute nicht stört, dass zwölf andere Restaurants ihrem Konzept folgen und mit traditionellen Gerichten Touristen an ihre Tische locken.

Die kommen als Rundreisende im Sommer, vor allem aber als Zugreisende im Winter. Seit einigen Jahren macht der Dogu-Express von Istanbul kommend hier Station, „ein großartiges Erlebnis in der verschneiten Landschaft“, berichtet Seval Coskun, Inhaberin von Aroha Reisen in Augsburg, und hat gleich noch einen weiteren Tipp parat: „Hast du auch Cag Kebab gegessen?“, fragt sie den Autor. „Das ist vor allem im nahen Erzurum eine absolute Spezialität!“

Natürlich haben wir Cag Kebab gegessen. Unsere Reise findet jedoch im Spätsommer statt – von Schnee keine Spur. Bei schönstem Wetter erleben wir eine Ost-Türkei, die viel moderner ist, als wir es uns vorgestellt hatten. Und es ist eine Region, die mit grandioser Landschaft und historischen Schätzen punktet.

So nutzen wir den Besuch in Kars für einen Abstecher ins 40 Minuten entfernte Ani, einem der wichtigsten Orte der türkischen Frühgeschichte: eine Stadt, die 600 vor Christus gegründet und von den Urartäern zu großem Glanz geführt wurde. Sie gelten als die Urtürken, waren lange vor den Seldschuken an der Macht.

Heute ist Ani Weltkulturerbe – und der Spaziergang durch die Ausgrabungen ist beeindruckend. Die Stadtmauern sind zum Teil über 2.000 Jahre alt, die Kirchen haben rund 1.500 Jahre auf dem Buckel. Der Großteil von Ani freilich sind nur noch Grundmauern. Erdbeben, Mongolen-Sturm und andere Ereignisse haben ihre Spuren hinterlassen. Es gibt noch Unmengen auszugraben – und einige Handwerker sind im Auftrag der türkischen Regierung auch tatsächlich am Arbeiten. Es geht voran in Ani.

Andalusischer Tourismus als Vorbild

Auf der Rückfahrt nach Kars sehen wir vielerorts Gänse grasen. Viele von ihnen gehören einer Frauen-Kooperative, die von Nuran Öyilmaz gegründet wurde und bis heute geleitet wird. Und auch beim Comeback traditioneller Tänze half die engagierte Unternehmerin mit.

Die Idee dazu erhielt sie während einer Unesco-Einladung nach Andalusien, als sie Flamenco-Tänzerinnen zusah. „Wir haben auch unsere Tänze“, dachte sie sich und begann, Ensembles eine Auftrittsplattform zu geben. Auch das machten andere Restaurants später nach. „Gut so“, freut sich Nuran. „Mit dem wachsenden Tourismus haben wir alle unser Auskommen. Und dem Erhalt unserer Kultur tut tut das gut.“
 

Info: Rundreisen durch die Ost-Türkei

Ikarus Tours hat eine zwölftägige Tour aufgelegt, die von Trabzon am Schwarzen Meer über Erzurum, Kars und Ani nach Van, Tatvan, Mardin, Göbekli Tepe, dem Berg Nemrut nach Kayseri führt. Termine gibt es Ende Mai sowie im September und Oktober. Auch Studiosus und Marco Polo bieten Reisen in die Osttürkei an.

Matthias Gürtler