La Reunion

Immer der Nase nach

Bei La Vanilleraie werden die Schoten so lange gelagert, bis sie ihren Duft erreichen

Auf der Insel der Düfte wächst die edle Bourbon-Vanille

Zwei Mitarbeiter einer Plantage beim Bestäuben der Vanilleblüten

Handarbeit: Jede Vanilleblüte muss individuell bestäubt werden. Fotos: hb

Die „Bienen“ tragen Jeans, Langarmshirts und Baseballkappen. Halblaut tönt ihr kreolischer Singsang aus dem Dickicht der Plantage. Drei lange Jahre mussten sie warten, um jetzt ausschwärmen zu können. Drei Jahre: So lange braucht es, bis jene Pflanze, um die sich hier alles dreht, dann zum ersten Mal erblüht.

Damien und Doan sind zwei Mittzwanziger, die der Natur auf die Sprünge helfen. So angeregt die beiden Jungs auch parlieren, heute ist ihre ruhige Hand gefragt. Sie machen auf der Insel La Reunion den Job, den in Mittelamerika Insekten erledigen. Doch weil es auf der Insel im Indischen Ozean die passenden Bestäuber nicht gibt, müssen die Menschen selbst Hand anlegen.

Mit einem Holzstückchen drücken sie Pollen und Narbe aufeinander und befruchten so Blüte um Blüte der Vanillepflanze. Gut 1.000 Orchideen bestäubt allein an diesem Vormittag jeder behutsam mit seinen Fingern. Aus den Blüten der Orchidee wachsen dann lange, schmale Schoten. Aus diesen entsteht das „schwarze Gold“ – echte Bourbon-Vanille.

Es duftet nach Schlaraffenland
Eine Spurensuche auf der Insel La Reunion, immer der Nase nach. Wo sonst soll die Königin der Gewürze wachsen, wenn nicht in diesem – wie einst der Dichter Charles Baudelaire schwärmte – „duftenden Land, das die Sonne verwöhnt“? In kleinen Destillen gewinnen hier Bauern Essenzen aus Geranien, Vetiver und Ylang-Ylang. Doch im Osten des französischen Übersee-Departements, zwischen den Orten Sainte-Suzanne und Saint-Philippe, dreht sich alles um die Vanille. Hier ranken sich die Pflanzen die Bäume hinauf oder werden auf Plantagen unter Schattennetzen angebaut.

Der Arbeitsplatz von Bertrand Come duftet nach Schlaraffenland. Doch der Besitzer von La Vanilleraie, des größten unabhängigen Vanilleproduzenten auf La Reunion, nimmt ihn kaum noch wahr, diesen würzig-süßlichen Hauch, der sich ausbreitet und im Laufe der Zeit unaufhaltsam alle Kleider parfümiert.

140 Duftstoffe fürs Aroma
Schlechte Aromen erkennt der Herr des Duftes aber sofort – die Schoten werden umgehend aussortiert. Besuchern erklärt Come alle Stationen der Vanillegewinnung bei täglichen Führungen. „Die grünen Schoten werden erst mit heißem Wasser abgebrüht und dann zum Gären gebracht“, erzählt er. „Wenn sie trocknen, entwickeln sie ihr Aroma. Doch erst die lange Lagerung unter Luftabschluss bewirkt die Entfaltung aller Aromen“. 140 Duftstoffe sollen es sein: Die Bourbon-Vanille, benannt nach dem früheren Namen der Insel, hat La Reunion in der Welt bekannt gemacht.

Villen für Kolonialnostalgiker
Auf La Reunion schwelgt man auch sonst gerne in Opulenz. Wer ins Landesinnere fährt, muss eine Straße nehmen, die sich Serpentine um Serpentine in Richtung Berggipfel hinaufschraubt. Kreolische Villen mit prächtigen Gärten lassen Kolonialnostalgiker von der Zeit träumen, als im Örtchen Hell-Bourg noch die Oberschicht dem heißen Klima der Küste entfloh. Heute genießen Touristen sowohl unten am Strand als auch oben in den Bergen die Kombination von französischer Cuisine und Gewürzen des Indischen Ozeans. Ente à la Vanille gefällig? Ein wenig geht es einem dann wie mit La Reunion selbst: Einmal probiert, für immer verführt.

Helge Bendl