Kaimaninseln

Wo die Welt später untergeht

Schon Columbus setzte seine Füße auf den Strand von Cayman Brac. Foto: stock.xchng

Auf Cayman Brac gibt es fast 1.400 Bewohner – und genauso viele Hängematten

Das Grundstück ist landestypisch „bebaut“: Zwischen den Palmen hat Wallace Platts zwei Hängematten gespannt. Genug, um es sich auf Cayman Brac gut gehen zu lassen. Wände braucht er fürs Erste nicht, ein Dach auch nicht. Falls ihm doch mal der Sinn nach einem Gebäude steht, zieht Wallace in den Anbau des Schulhauses.

Der Aussteiger aus Kanada ist auf der abgelegensten Insel des Cayman-Archipels in der westlichen Karibik hängen geblieben – und seine Frau hat dort als Lehrerin angeheuert. Sollten neue Krisen die Welt erschüttern, wird es länger dauern als anderswo, bis auch hier der Alltag durcheinandergerät. Sollte sie untergehen – auf Cayman Brac wird es erst ein paar Tage später geschehen. Im Atlas liegt die Insel fast auf dem Wendekreis des Krebses. In Wirklichkeit liegt sie hinter dem Mond.

Knappe neunzig Flugminuten ist die Hauptinsel Grand Cayman von Miami entfernt. Weitere zwei Stunden dauert der Himmelsritt mit der Linien-Propellermaschine zweimal am Tag mit Zwischenlandung auf Little Cayman weiter nach Cayman Brac.

Weniger als 1.400 Einwohner hat diese Insel – und mindestens genauso viele Hängematten. Achtzehn Kilometer lang ist sie, etwa einen breit. Keine einzige Häuseransammlung rechtfertigt, von einer Stadt oder auch nur einem größeren Ort zu sprechen. Ballen sich an einer Stelle zwanzig bunt getünchte Holzhäuschen, dann ist das bereits viel. Wer einen Urlaub lang nicht auffindbar sein oder schlicht den Weltuntergang verpassen möchte, dürfte hier richtig sein.

Die Bankeninsel Grand Cayman ist weit weg. Und manchmal scheint es, als hätte man dort längst vergessen, dass auch Cayman Brac noch zum selben Archipel zählt. Columbus hatte die Insel 1503 auf seiner letzten Reise entdeckt. Die ersten Siedler ließen sich auf dem bis dato unbewohnten Eiland erst 150 Jahre später nieder.

Der Tourismus konzentriert sich heute auf wenige Hotels, die sich in erster Linie auf Tauchurlauber eingestellt haben und Yacht-Shuttle-Dienste zu den vorgelagerten Korallenriffs anbieten. In dieser Region erreicht die Karibik ihre größte Tiefe – über 6.000 Meter.

Der umtriebige Wallace hat sich derweil zum Original auf Cayman Brac entwickelt und ist allgegenwärtig: Schaukelt er nicht gerade in seiner Hängematte, dann engagiert er sich in vielen Funktionen ehrenamtlich für seine neue Heimat: Er legt Wanderwege im Inselinneren an, kümmert sich um Hege und Pflege des neuen Papageien-Schutzgebiets. Abends treffen sich die Einheimischen in der Tiara Beach Bar, stemmen Rum-Cocktails, Bier aus den USA und tauschen die neuesten Geschichten aus. Auf Cayman Brac kennt jeder jeden.
Helge Sobik
Anzeige