Kuba

Kuba mit Stäbchen

Restaurantbetreiberin Tao Qi (Mitte) mit Freunden aus China.

Wo Havanna dem Besucher chinesisch vorkommt

Authentische chinesische Küche: Restaurant Tien Tan im Boulevar.

Unübersehbar: der Eingang zur Chinatown

Im Barrio Chino sind Straßenschilder zweisprachig und rot. Fotos: ras

Die typischen meist roten Laternen hängen vor dem Eingang, auf der Speisekarte stehen Gerichte wie Frühlingsrollen und Hähnchen nach Szechuan-Art, es brennen Räucherstäbchen – keine Frage, dies ist ein China-Restaurant. Doch irgendetwas ist anders in diesem Restaurant, ob es nun Guangzhou, Toi Sen oder Tien Tan heißt, denn in den Gesichtern des Service-Personals sind die Latino-Züge nicht zu übersehen. Denn diese Restaurants sind nicht in der Chinatown von San Francisco zu finden, der größten weltweit, sondern in einer, die bis 1959 die größte Amerikas war: die in der kubanischen Hauptstadt Havanna.

Und während der ehemalige Präsidentenpalast, das dem Kapitol in Washington nachgebaute Capitolio, und die dahinterliegende Tabakfabrik Partagas in keinem Programm deutscher Veranstalter fehlen, wird das chinesiche Viertel meist übersehen. Obwohl das fast nicht möglich ist. Denn gleich neben Partagas, wo auch die Cohiba-Zigarren hergestellt werden, überspannt ein meterhoher Steinbogen mit chinesischen Dächern die Straße: „Barrio Chino“ steht dort auf Spanisch und Chinesisch. Unter dem Bogen rollen die bei Touristen beliebten Fotomotive: restaurierte Oldtimer und Fahrradrikschas.

Die Oldtimer brachten die Amerikaner einst ins Land, die Rikschas die Chinesen. Mitte des 19. Jahrhunderts sollen sie aus der Gegend um Kanton nach Havanna gekommen sein. Die Straßenzüge hinter dem Capitolio blühten unter den arbeitsamen Chinesen, die neben Schulen, Kinos, Zeitungen, Apotheken auch die verschiedensten Geschäfte eröffneten. Doch der Sieg der Revolution von Fidel Castro 1959 und die folgende Verstaatlichung privaten Eigentums läutete den Niedergang für das prosperierende Chinesenviertel ein. Vor allem die Selbstständigen versuchten, das Land zu verlassen, Chinatown verfiel und bröckelte vor sich hin wie vieles auf Kuba.

Die Jahre vergingen, nur wenige der Restaurants blieben dem Viertel erhalten, auch einige der Studios, in denen traditionelle chinesische Massagetechniken geleert wurden, überlebten. Die jüngeren verbliebenden Kubaner chinesischen Ursprungs vermischten sich immer mehr mit denjenigen Kubanern, die europäische und afrikanische Vorfahren hatten.

Roberto Vargas Lee heiratete eine Chinesin aus China. Vor fast 20 Jahren verbrachte Tao Qi ihren Urlaub auf Kuba, lernte Roberto kennen – und blieb. Erste Gesetzesänderungen machten es möglich, dass sie 1996 das Tien Tan im Boulevar del Barrio Chino eröffneten.

In der Fußgängerzone reiht sich ein China-Restaurant ans andere. Und auch wenn in allen Gaststätten die einheimischen Köche von Chinesen angelernt wurden, im Tian Tan soll die Küche am authentischsten sein – wie auch die Mitarbeiter der anderen Lokale hinter vorgehaltener Hand zugeben. Herr hinter dem Herd und über die auch auf Chinesisch verfasste Speisekarte ist Luo Shu Cuei. Chinesische Reisegruppen kommen gern hierher, wobei sie das klimatisierte Innere des Gourmettempels schätzen.

Die Reisegruppen sehen auch, dass überall in Chinatown gewerkelt wird, es heißt, dass Chinesen aus aller Herren Länder Geld für die Erhaltung geben. Hier verweist ein Schild auf den Geschichtsforscher des Barrio Chino. Dort soll das Büro der chinesischen Zeitung Kwong Wah Po wieder zum Leben erweckt werden, daneben werden ein Museum zur chinesischen Kultur und ein Konfuzius-Institut gebaut. Eine liebevoll gepflegte Statue für den großen Denker wurde schon vor Jahren vom Konfuzius-Institut Hongkonggespendet.

Wie erkennt der Besucher außerdem, dass er in Chinatown ist? Ganz klar, an den zweisprachigen Straßennamen und an Hinweisschildern für Vereinigungen, die Lung Kong, Chi Tack Tong oder ähnlich heißen. In der Nähe des Hauptfriedhofs gibt es übrigens noch einen chinesischen Friedhof.
Sylvia Raschke