USA

Georgia: Edelweiß und Schweinsbraten

Bayernhäuser und Fiaker – das Städtchen Helen soll Deutschland im Kleinformat sein.

Helen zeigt, wie sich Amerikaner Deutschland vorstellen

Auch ein „Heidi Motel“ darf nicht fehlen. Fotos: jmw

Bis weit in die 60er Jahre hinein war Helen lediglich ein verschlafenes ehemaliges Goldgräberstädtchen in den Appalachen im Norden des US-Bundesstaates Georgia, das seine besten Tage lange hinter sich hatte. Doch dann hatten ein paar clevere örtliche Geschäftsleute die Idee, aus dem dahinsiechenden Ort eine gute Stunde nördlich der Südstaatenmetropole Atlanta eine alpine Attraktion im bayerischen Stil zu machen.

Im Januar 1969 begannen sie schließlich, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Heute sieht das 430-Einwohner-Örtchen Helen genau so aus, wie viele Amerikaner sich Deutschland vorstellen. Die Häuser und Straßen erinnern an mittelalterliche Städte, auf den Speisenkarten dominiert Einschlägiges wie Bratwurst, Schweinsbraten und Schnitzel, und aus den vielen Lautsprechern erklingen deutsche Volkslieder. Dirndl und Lederhosen fehlen in den zahlreichen Geschäften, Cafés und Gaststätten ebenso wenig wie Sauerkraut, Ritter-Sport-Schokolade und eine äußerst stattliche Anzahl an deutschen Bier- und Kuchenspezialitäten.

Und natürlich gibt es in Helen inzwischen auch ein Oktoberfest, das nach Darstellung des örtlichen Fremdenverkehrsamtes sogar das längste in den gesamten USA sein soll. Gefeiert wird von September bis November – was sicherlich ausgesprochen gut für die örtliche Tourismusindustrie ist. Denn gerade im malerischen amerikanischen Herbst zieht es viele Tausend Besucher in die Berge Nordgeorgias.

Die meisten von ihnen dürfte es dabei auch nicht stören, dass das Stadtbild so manchen Stilbruch aufweist. So findet sich in Helen unter anderem eine Windmühle, die eher an Holland als an die Bayerischen Alpen erinnert. Im Lädchen „Windmill Dutch Imports“ gibt es zudem neben original niederländischen Kacheln auch Holzschuhe zu kaufen. Und auf den Straßen lassen sich die Touristen von Fiakern durch die Gegend karren, die in Wien und Salzburg weit geläufiger sind als in Ruhpolding oder in Füssen.

Doch das macht alles nichts, denn die meisten der mehreren Hunderttausend Gäste pro Jahr amüsieren sich prächtig in Helen. Viele von ihnen bleiben sogar gleich mehrere Tage und residieren in Unterkünften, die sich ebenfalls ganz dem vermeintlich typisch alpenländischen Deutschtum verschrieben haben. Und so heißen die Herbergen Edelweiss German Inn, Innsbruck Resort oder auch Hofbrau Riverfront Hotel.

Dabei haben die meisten Einwohner der Kleinstadt hinsichtlich ihrer Herkunft nicht das Geringste mit Deutschland zu tun. Lediglich einige wenige sind deutsche Einwanderer, die bereits seit vielen Jahren in den USA leben.

Zu ihnen zählt auch Willi Lindhorst, den es 1963 aus dem niedersächsischen Oldenburg nach Amerika verschlagen hat. Heute verdient er sein Geld mit einer riesigen Spielzeugeisenbahnanlage, die Deutschland im Miniformat zeigt. Deren Name lautet Charlemagne’s Kingdom – das Königreich Karls des Großen. Was allerdings der einstige fränkische König und römische Kaiser ausgerechnet mit Eisenbahnen am Hut gehabt hat, bleibt wohl noch lange Zeit eines der vielen ungeklärten Rätsel von Helen.
Jörg-Michael Weiß
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