USA

Big Apple per Bike

Bunter Hinterhof: „5 Pointz“ nennt sich die Graffiti-?Galerie.

New York: Mit dem Rad durch Queens, Brooklyn und Manhattan

Guide Marc und Tourteilnehmer vor der Queensboro Bridge am East River. Fotos: ah

Zuerst die Statistik: Nur 15 Prozent der Einwohner Manhattans haben ein Auto – der Drahtesel wird in Big Apple immer beliebter. Täglich fahren 200.000 New Yorker mit dem Rad zur Arbeit. Die Stadt hat darauf reagiert: In den vergangenen drei Jahren wurden in der amerikanischen Metropole über 200 neue Radwege angelegt.

Auch Reiseveranstalter nutzen den Rad-Boom, organisieren Touren durch die Stadt. Der Anbieter „Bike the Big Apple“ führt sportliche Urlauber abseits viel befahrener Routen. Wir unternehmen eine gleich siebenstündige Radtour, die in durch Manhattan, Queens und Brooklyn führt.

Mit Bike-Guide Marc Seidenstein starten wir bei Nieselregen in Manhattan, quetschen uns über die viel befahrene 5th Avenue, nehmen eine Seitenstraße Richtung Queensboro Bridge. Mit den Rädern überqueren wir den mächtigen East River, lassen Roosevelt Island links liegen und sind in im Stadtteil Queens. Auf Roosevelt Island stand früher ein Irrenhaus, dann ein Krankenhaus und später ein Gefängnis. Heute leben auf der kleinen Insel Bürger aus der Mittelschicht, die vor den hohen Mietpreisen in Manhattan flüchten und trotzdem die Nähe zur pulsierenden City suchen.

Im Stadtteil Queens wird aus dem Nieselregen leider ein kräftiger Schauer. Wir suchen Schutz am Ufer und genießen den Blick auf Manhattan. Weiter geht’s am Rand des Queensbridge Viertels – eine Immigranten-Hochburg, denn über die Hälfte der Bewohner spricht kein Englisch. Ron Artez, der Basketball-Star der Los Angeles Lakers, wuchs in dem Viertel auf und ist heute der Held der nicht ganz ungefährlichen Nachbarschaft. Wir radeln durch Queens, erreichen das Viertel Cony Island City. Dort residieren die Silvercup Studios, wo US-Fernsehhits wie „Die Sopranos“ oder „Sex and the City“ entstehen.

In der 22nd Street stoppen wir in einem „bunten“ Hinterhof. Die Wände sind mit riesigen Graffiti verziert. „5 Pointz“ nennt sich der Ort – eine große Open-Air-Kunstgalerie und ein Hingucker für Berufspendler. Denn die J-Linie der Subway bringt sie jeden Tag oberirdisch direkt an dem Kunstwerken vorbei.

Wir erreichen Long Island City, das ehemalige Hafengebiet von Queens. Derzeit wird es kräftig aufgemöbelt. Guide Marc erklärt: „Hier ist kein Gebäude älter als acht Jahre“. Wo früher alte Fabrikhallen und Schiffsmanufakturen standen, entstehen heute schicke Kunstgalerien und teure Eigentumswohnungen.

Über die Pulaski Bridge geht es danach über den Newtown Creek nach Greenpoint in Brooklyn. Hier ist das hippe Brooklyn bieder. Die Gegend wird von einer konservativen polnischen Gemeinde bewohnt. Mittagspause machen wir im „Polonia Restaurant“, wo eine grimmige Wirtin gehacktes Schwein brät, garniert mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Deftig.

Wir verlassen Greenpoint und fahren ins trendige Williamsburg. Während in den 1930er Jahren hauptsächlich Juden dort lebten, kamen in der nächsten Generation Latinos. Vor 20 Jahren bekam Williamsburg ein Heroin-Problem. Die Mittelschicht flüchtete, brotlose Künstler kamen und richteten sich Werkstätten ein. Mit den Jahren wurde das Viertel angesagt. Heute leben im nördlichen Williamsburg viele Promis.

Wir sind jetzt in der Bedford Avenue. Junge Männer in engen Hosen, Models mit riesigen Sonnenbrillen stolzieren über die Straße, die von Edel-Boutiquen und Delikatessenläden gesäumt wird. Wir halten am über 120 Jahre alten Peter Luger Steakhouse. „Hier gibt’s das beste Steak in ganz New York“, weiß Marc. Das hat seinen Preis: Für zwei Porterhouse-Steaks werden 90 US-Dollar fällig, Beilagen kosten extra.

Wir radeln weiter und erreichen den südlichen Teil von Williamsburg. Plötzlich ist die Szenerie wie ausgewechselt. Die Straßen sind von chassidischen Juden bevölkert. 60.000 leben dort. Auf der Lee Avenue kommen uns Männer in schwarzen Mänteln, Hüten und Schläfenlocken entgegen. Sie mustern uns mit großen Augen. Viele Juden kamen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Williamsburg. Unser Guide ist auch Jude. Und so machen wir einen Abstecher in Kaffs Bäckerei, wo Jiddisch gesprochen wird. Marc braucht koscheres Süßbrot für daheim. Der Rabbi kommt am Abend zu Besuch.

Über die Williamsburg Bridge geht’s zurück nach Manhattan. Wir kommen in der Lower East Side an, die Ende des 19. Jahrhunderts vor allem von Osteuropäern besiedelt war. „In den 1970er Jahren war das ein schlimmes Pflaster“, weiß Marc. Wir wenden uns Richtung Fluss und fahren durch den East River Park Richtung Norden. Dann passieren wir das UN-Gebäude und erreichen endlich den Bike-Shop.
Arne Hübner
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