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Colorado: Himmelfahrt im Pulverschnee

Der kann es schon: Wintersportler im Skigebiet Winter Park in Colorado

Der kann es schon: Wintersportler im Skigebiet Winter Park in Colorado. Foto: sboice/iStock

Unser Autor übte viel, fiel viel – und konnte nach ein paar Tagen doch Snowboarden

Angsthasen sind schlaue Tiere. Sie wissen nämlich, wann sie Reißaus nehmen müssen, um ihr Leben zu retten. Ich bin in meinem Leben wilde Flüsse gepaddelt, habe mit dem Kongo das „Herz der Finsternis“ durchquert und war mit Walfängern in Indonesien unterwegs.

Doch all das war Pipifax gegen diesen Höllenschlund, der sich unter mir auftut. Eine tannengesäumte Riesenrutsche soll ich runterfahren, ich blutiger Snowboard-Anfänger? Doch Reißaus nehmen geht nicht: Hier stehe ich und kann nicht anders, ein kleiner Mann im großen Weiß der Rocky Mountains.

Kinderleichte Dinge, die man früh übt, um sie nicht als Erwachsener lernen zu müssen: Laufen, Rad fahren, Schwimmen – und Skifahren oder Snowboarden. Meine Eltern waren nie in den Bergen, ich also auch nicht.

In drei, vier Tagen kann jeder das Snowboarden lernen, wenn man die richtige Anleitung hat. – Tom Barr, Snowboard-Lehreraus Steamboat Springs

Weil ich es aber nun ausprobieren will, recherchiere ich: Wo fällt viel weicher Schnee? Wo gibt es leere Pisten? Wo die nettesten Lehrer? Alles spricht für die Rocky Mountains. „They are so positive“, heißt es über die Instructors aus den USA. Und erst der Schnee: „Champagne Powder!“ Auf also nach Colorado, aber nicht ins schicke Aspen oder nach Vail, sondern in die Wintersportorte der Locals.

Winter Park, Colorado, Tag X. Im Anfängerkurs für Erwachsene sind wir zwei Frauen und zwei Männer zwischen 16 und 40 Jahren.

Wir lernen: 1. Wie man sein Snowboard trägt, 2. Wie man nicht aus dem Lift fällt, 3. Wie man aufsteht, ohne gleich wieder hinzufallen (wichtig für die Motivation), 4. Wie man den Hang runterrutscht, das Snowboard zum Bremsen im Schnee verkeilt, 5. Wie man geradeaus gleitet, 6. Wie man eine Drehung einleitet, 7. Wie man die Piste quert, 8. Wie man auf der Piste hin und her schwingt (Steve nennt das „Falling Leaf“ und tatsächlich falle ich 1.001 Mal, allerdings nicht wie ein Blatt), 9. Wie man girlandenartig den Hang herunter fährt und schließlich 10. Wie man – das große Finale! – das alles kombiniert.

„You’re doing good“, sagt Instructor Steve aufmunternd, doch es fühlt sich anders an: Ich purzle nach vorne und hinten, rechts und links. Am Abend ist der Pulverschnee nicht mehr weich, ich bin müde und kaputt. Und stehe am nächsten Tag trotzdem wieder auf der Piste. „Man muss wollen“, sagt Steve. „Doch gib deinem Körper Zeit. Er lernt neue Bewegungen – das dauert.“

Nach zwei Tagen wechsle ich nach Steamboat Springs, einer Westernstadt im Winterkleid, wo sie noch zu Pferd in die Old Town reiten.

Hier ist Tom Barr mein Instructor. 1985 war er der erste Snowboard-Lehrer im Resort, ein Außenseiter zwischen all den Skifahrern. Heute sind es in der Saison gute hundert, die Pisten sind voll mit Boardern, jung wie alt. Tom sagt: „In drei, vier Tagen kann jeder das Snowboardfahren lernen.“

Also werde ich mich wohl auch mit ihm zum Affen machen und Händchen haltend das „Falling Leaf“ üben. Irgendwann klappt es dann, auch die kombinierten Drehungen. Bald steige ich in den ersten echten Lift – ohne zu ahnen, dass Tom unsere Gruppe hinauf bringt auf den knapp 3.200 Meter hohen Storm Peak. Und ohne zu ahnen, dass die Abfahrt, so gefährlich sie auch zu sein scheint, direkt in den siebten Snowboardhimmel führt.

Helge Bendl
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