Ecuador

Im Zoo der Urzeitgeschöpfe

Wie ein Denkmal aus grauer Vorzeit: Meeresechsen auf Santa Cruz.

Für das fragile Ökosystem der Galapagos-Inseln ist der Tourismus sowohl eine Bedrohung als auch ein Schutz

Um ihr Gewicht zu halten, müssen Riesenschildkröten viel Grünzeug verputzen.

Naturpark-Guide Sergio erklärt die Kakteenarten der Galapagos-Inseln.

In den Wellen tollen macht müde: ein Seelöwe beim Nickerchen.

Viel Platz zum Surfen und Baden: die unverbaute, blitzsaubere Tortuga Bay.

Pelikane am Hafen von Puerto Ayora.

Leguan in der Charles-Darwin-Station.

Sehen aus, als wären sie in Farbe getapst: Blaufußtölpel. Fotos: pa, stock.xchng (1)

Wie ein Standbild aus grauer Vorzeit posieren sie auf den Felsen. Die scharfen Krallen ausgefahren, die faltigen Hälse stolz erhoben, die verschrumpelten Gesichter abweisend. Kein Zweifel, der Strand Los Perros auf der Galapagos-Insel Santa Cruz ist das Reich der Meeresechsen. Zu Dutzenden kauern die Reptilien auf den Steinen - alleine, paarweise oder wie zum Familienfoto arrangiert. Geschöpfe von sagenhaft schöner Scheußlichkeit, Dinosaurier in Miniaturausgabe, schwarz und starr wie erkaltete Lava. Die Botschaft der kleinen Ungeheuer scheint so kühl wie klar: Wir Meeresechsen waren schon immer hier und sind es immerdar. Ihr Menschenwesen macht euch gefälligst wieder von dannen, uns werdet ihr aus diesem Paradies nicht vertreiben.

So gerne man sich der Vorstellung einer ewigen Meeresechsenexistenz hingibt, so bald wird man in die Endlichkeit zurückgeholt. In der Charles-Darwin-Forschungsstation im Inselhauptort Puerto Ayora steht ein Gehege leer. Vor wenigen Wochen segnete dort "Lonesome George" das Zeitliche, der letzte Vertreter der Riesenschildkröten-Unterart "Geochelone nigra abingdoni". George erlag vermutlich einem Herzversagen, im zarten Riesenschildkrötenalter von etwa 100 Jahren. Alle Versuche, ihn zur Fortpflanzung zu ermuntern, waren ohne Ergebnis geblieben.

Vielleicht wollte George nicht als Zuchtmaschine im Sinne der biologischen Vielfalt dienen, vielleicht mangelte es ihm aber auch an Ruhe. Aus aller Herren Länder waren die Besucher auf die entlegene Inselgruppe im Pazifik gekommen, um den Star der Darwin-Station zu bewundern, die weltweite Ikone für Naturschutz, den Hoffnungsträger für den Erhalt der Artenvielfalt. Wer kann diese Bürde schon dauerhaft schleppen, selbst als 90 Kilo schwerer Brocken mit Mega-Panzer? George hielt 40 Jahre durch. 1972 war er auf der Insel Pinta im Norden des Galapagos-Archipels entdeckt und eingesammelt worden.

Georges Ableben mag betrüblich sein, steht aber einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte gegenüber. Infolge von Schutzprogrammen stieg die Zahl seiner Artgenossen binnen vier Jahrzehnten von 3.000 auf 20.000 Exemplare. An den ursprünglichen Bestand von mehreren Hunderttausend Riesenschildkröten reicht das natürlich nicht heran, aber immerhin. Zur Dezimierung der Schildkröten war es einst gekommen, weil ihnen von Siedlern eingeschleppte Nutztiere die Nahrung streitig machten. Und schlimmer noch: Die genügsamen Kolosse wurden von Seefahrern als lebende Fleischkonserven auf Schiffen gebunkert. Schildkröten können monatelang ohne Futter und Wasser ausharren - welch praktischer Proviant!

Der Mensch zerstört, der Mensch schützt - zumindest dann, wenn er daran verdienen und eigentlich auch nicht groß wählen kann. Auf der ecuadorianischen Inselgruppe, die im vergangenen Jahrhundert als Strafkolonie und US-amerikanischer Militärstützpunkt genutzt wurde, gibt es fast nichts, was sich zu Dollars machen lässt. Die Galapagos-Bewohner hängen am Tropf des Tourismus. Sie wissen, dass es ein hochsensibles Gut zu hüten gilt - und eine lukrative Einnahmequelle. In keiner anderen Provinz Ecuadors ist das Pro-Kopf-Einkommen höher und die Kriminalität geringer als auf der mittlerweile fast 30.000 Einwohner zählenden Inselgruppe. 1959 wurde der Archipel, auf dem noch heute 95 Prozent der ursprünglichen Flora und Fauna erhalten sind, zum Nationalpark erklärt. Seit 1978 gehören die Galapagos-Inseln zum Unesco-Weltnaturerbe.

Mit dieser Auszeichnung besitzt man ein werbewirksames Prädikat, wird aber auch sehr streng überwacht. Um vor den Gefahren durch zunehmenden Tourismus, unkontrollierte Zuwanderung und die Invasion fremder Arten zu warnen, wurden die Galapagos-Inseln vom Unesco-Komitee 2007 auf die Rote Liste gesetzt. Erst durch Zwangsumsiedlungen und Beschränkungen gelang es 2010, diesen Negativ-Status wieder abzuschütteln. Zu den Konsequenzen für den Tourismus zählen verschärfte Bestimmungen für Kreuzfahrtschiffe, die jetzt nur noch in begrenzter Zahl auf streng vorgegebenen Routen um die 13 Hauptinseln und mehr als 100 Inselchen fahren dürfen.

Aus dem ecuadorianischen Tourismusministerium heißt es, dass auch an Land kaum noch Wachstum möglich ist, weil nahezu die gesamte Inselfläche (etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein) unter Naturschutz steht. Zudem werde die Zahl der Touristen über die Flugkapazitäten reguliert. Fakt ist aber, dass im vergangenen Jahr mit 185.000 Besuchern ein Rekord erreicht wurde - und damit eine neue Stufe des Konflikts: Tourismus bedeutet sowohl Fluch als auch Segen für Galapagos. Als kräftige Geldbringer - die Nationalpark-Gebühr beträgt 110 US-Dollar - sind die Gäste nicht nur eine Gefahr für das fragile Ökosystem, sondern zugleich auch dessen stärkster Beschützer. Sie treten die weite Reise nur deswegen an, um einen einzigartigen Schatz der Natur zu erleben.

Der Fremdenverkehr hat sich daher nirgendwo hemmungslos Bahn brechen können. Selbst die mit 12.000 Einwohnern größte Gemeinde Puerto Ayora, die etwa die Hälfte der 109 Unterkünfte mit 3.075 Betten auf Galapagos stellt, präsentiert sich als beschaulicher Flecken ohne Betonburgen. Die Hauptstraße ist gesäumt von familiär geführten Hotels, Backpacker-Absteigen für 20 US-Dollar die Nacht, Souvenir-Läden, Restaurants und dem einzigen Supermarkt des Archipels. Abends finden sich an der Straße auch die Einheimischen ein, um Fuß- oder Basketball zu spielen, zu Speisen oder ein Schwätzchen zu halten.

Im Zuge des Konzepts "Turismo Consciente" sind die Unternehmen auf Galapagos dazu angehalten, sukzessive auf einen umweltschonenden Betrieb umzustellen. Als Vorreiter betrachtet sich hier das Finch Bay Eco Hotel auf Santa Cruz. "Wir klären unser Abwasser so weit, dass wir es zur Pflanzenbewässerung nutzen können", sagt Hotel-Manager Carlos Lopez. Zudem gibt es Solarzellen, eine Entsalzungsanlage und wieder auffüllbare Flaschen auf den Zimmern zur Reduzierung von Plastikmüll. In fünf Jahren will das luxuriöse 28-Zimmer-Resort in allen Bereichen nachhaltig wirtschaften.

Ginge es nach Sergio, einem haselnussbraungebrannten Nationalpark-Guide der ersten Stunde, müsste mehr in Schutzmaßnahmen für Galapagos investiert werden. Die Mittel reichten nicht aus, um die Probleme der Inseln zu lösen, angefangen bei der Trinkwasserknappheit über die Abwasser- und Müllentsorgung bis hin zu den Schäden durch wilde Hunde, Schweine und Katzen. "Viele Projekte bleiben unvollendet", kritisiert der 60-Jährige.

Wir treffen Sergio am Hafen von Puerto Ayora, wo auf Fischerbooten zutrauliche Pelikane hocken. Der stets und selbst auf kantigen Gesteinsformationen barfüßig laufende Naturbursche, der vor sieben Jahren dem Alkohol und Discotheken abgeschworen hat ("Ich brauche das nicht mehr"), wird uns heute begleiten - auf einer Reise in eine Welt wie vor Jahrmillionen, als Vulkane die Inseln aus den Fluten spuckten. Eine Expedition in eine urtümliche, mit garstigem Gesträuch, riesenhaften Kakteen und skelettweißen, blattlosen Palo-Santo-Bäumen bestandene Landschaft, die so unberührt und unkultiviert wirkt, als hätte jemand am sechsten Schöpfungstag auf die Stopp-Taste gedrückt, kurz bevor mit Adam und Eva die Grundausstattung der Menschheit nachrückte.

Wären alle so umsichtig und verantwortungsbewusst wie Sergio, bräuchte es weder die Sonderkontrollen am Flughafen, damit nichts eingeschleppt und ausgeführt wird, noch den Verhaltensleitfaden, den jeder Tourist mit dem Nationalpark-Ticket erhält. Darin wird zu Achtung eines einmaligen Tier- und Pflanzenreichs aufgerufen - und darauf hingewiesen, dass einige Schutzzonen nur mit lizenzierten Parkführern betreten werden dürfen. Wer die Regeln überschreitet, indem er sich zum Beispiel zu dicht an die Tiere heranpirscht, erntet von Sergio ein Augenfunkeln, das so wild ist wie sein Haar- und Bartwuchs.

Mit einem kleinen Glasbodenboot gleiten wir ins ganz große Kino der Schöpfung, in einen Zoo der Superlative, geschützt durch die Weiten des Pazifiks, 1.000 Kilometer vom südamerikanischen Festland entfernt. Seelöwen tollen und bellen in den Wellen, räkeln sich wie etwas speckig geratene Meerjungfrauen auf gischtumschäumten Felsen und schwimmen ganz ohne Scheu auf Spezies mit Schnorchelbrillen und Unterwasserkameras zu. Auch die Meeresechsen an der Playa de Los Perros demonstrieren totale Furchtlosigkeit, was zwar bei uns, aber nicht immer angebracht sein mag. So sollten die friedfertigen Vegetarier vor wilden Hunden besser Reißaus nehmen. Zu deren Lieblingsspeisen gehören nämlich nicht Algen, sondern Meeresechsen.

Im Überlebenskampf besser aufgestellt erscheinen die Fregattvögel, großrahmige Flugobjekte mit drachenartigen Schwingen und markigen Schnäbeln. Sie rasten oben am Felsen des "Canal del Amor" und haben von dort bestimmt schon viel nackte Haut erspähen können. Denn bei den Menschen ist der wildromantische, stille Ort zum Austausch von Intimitäten beliebt. Wegen der zahlreichen Touristenboote empfiehlt sich das Open-Air-Liebesspiel inzwischen aber weniger.

Der Liebeskanal wird noch von einigen anderen Vögeln observiert - von Kormoranen, Pelikanen und den hübschen Blaufußtölpeln. Mit ihren breiten, blauen Füßen sehen sie zwar so aus, als wären sie in Farbe getapst, wirken aber gar nicht ungeschickt und jederzeit zur Flucht bereit - ganz im Gegensatz zu einem Grüppchen Haie, das lässig in einer Bucht chillt. Doch vor wem sollten sich die schnittigen Raubfische schon gruseln müssen, außer vielleicht vor sich selbst.

Vollkommen in Sicherheit dürfen sich die Bewohner der Darwin-Station wähnen: Unweit von Georges Wohnstätte werden Riesenschildkröten-Babys ausgewählter Unterarten aufgezogen, bis sie fünf Jahre alt sind und damit kräftig genug, um Feinden zu trotzen. Dass Sorglosigkeit behäbig machen kann, sieht man an den gelben Leguanen nebenan. Temperamentlos wie Teigtaschen faulenzen sie in den Gehegen und sparen sich jedwede Reaktion auf Schaulustige. Ebenso hält es Diego, der sich lieber mit seiner Gespielin beschäftigt. Der Riesenschildkröten-Weiberheld soll bereits 1.700 Nachfahren produziert haben und empfiehlt sich nun als Nachfolger des Biodiversitätsvollversagers George.

Als wäre das alles nicht genug der Groß- und Einzigartigkeit, hält Santa Cruz noch einen weiteren Trumpf bereit: Tortuga Bay, einen Strand, der zu den schönsten der Erde zählt - unverbaut und blitzblank, mit Sand in Backpulverqualität und Meeresschildkröten im türkisfarbenen Wasser. Deren Verwandte kann man auf der Rancho Primicias zwischen der Flughafeninsel Baltra und Puerto Ayora besuchen. Wie überdimensionale Ostereier liegen die Riesenschildkröten auf dem Gelände herum - immer dort zu finden, wo das Gras am saftigsten steht. Mit Seelenruhe zermalmen die Giganten den lieben langen Tag wahre Berge von Grünzeug und reduzieren ihre Bewegungen dabei auf ein Minimum. Obwohl die Riesenschildkröten häufig Besuch bekommen, starren sie uns an, als wären wir Außerirdische - und wir starren zurück, sehen die Wirbeltiere mit ihrer ledrigen Haut und den zerklüfteten Köpfen doch selbst aus wie nicht von dieser Welt.

Hin und wieder nutzen graue Vögelchen die Schildkrötenpanzer als Aussichtsplattform. Es sind Darwin-Finken, die flatternde Unscheinbarkeit mit dem denkbar schmucklosesten Federkleid. Und dennoch haben sie es durch Darwins Evolutionstheorie zu Weltruhm gebracht (anders als die Spottdrosseln, für die sich der Forscher auf seiner Galapagos-Reise 1835 viel mehr interessiert haben soll). Darwin sah, dass die Finken je nach Insel unterschiedlich waren, und er erkannte, dass Arten sich ihrer Umgebung anpassen - survival of the fittest.

Auch der einsame George dürfte in freier Wildbahn ein Überlebenskünstler gewesen sein, aber an die Gefangenschaft und seine Rolle als umschwärmter Superpromi konnte er sich offenbar nicht gewöhnen. Er wird nun ausgestopft und soll dann in einem Informationszentrum auf Santa Cruz wieder für Fotos zur Verfügung stehen. Mögen ihm niemals konservierte Meeresechsen Gesellschaft leisten, sondern sich Naturschützer und die Tourismusbranche erfolgreich ausbalancieren. Denn es ist, wie es ist, und nicht zu verschweigen: Galapagos muss man einmal im Leben gesehen haben.   

Pilar Aschenbach

Buchungsinformationen

Flug: zum Beispiel mit der ecuadorianischen Fluggesellschaft Tame von Quito oder Guayaquil nach Baltra (www.tame.com.ec).
Übernachtung: Eine behagliche, komfortable Unterkunft ist das 19-Zimmer-Hotel Mainao (www.hotelmainao.com) in Puerto Ayora. Die weißgetünchte Fassade ist mit bunten Schildkröten- und Leguan-Mosaiken verziert, der asymmetrische, verschlungene Baustil erinnert an Hundertwasser-Kunstwerke.
Arrangements: Sowohl über große als auch kleine Reiseveranstalter sind Galapagos-Arrangements buchbar. Der Freiburger Lateinamerika-Spezialist Aventoura beispielsweise bietet mit der Partneragentur Latina Real Tours (www.latinarealecuador.com) die dreiwöchige Gruppenreise "Faszination Anden & Galapagos" an. Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit sind wesentliche Bestandteile der Firmenphilosophie. Kontakt: Telefon 07 61 / 2 11 69 90 und www.aventoura.de.
Weitere Infos gibt es auf der Seite des ecuadorianischen Tourismusministeriums unterhttp://www.vivecador.comhttp://ecuador.travel. http://www.ecuador.trave