Bolivien

La Paz: Eine Stadtrundfahrt wie im Fluge

Die Strecke der Blauen Linie führt auch unter mehreren Hängebrücken hindurch

Das neue Seilbahnsystem ist die größte Touristenattraktion von Boliviens Hauptstadt

In den Gondeln, hier die Rote Linie, ist W-Lan inklusive. Fotos: mw

Wer verstehen will, warum Rodrigo Vera Rozo sich über den neuen Nahverkehr in Boliviens Hauptstadt La Paz so freut, der muss nur keuchend und schnaufend die wenigen Schritte von der Franziskanerkirche an der Avenida Ismael Montes durch die Altstadt hoch zum Parlament an der Plaza Murillo steigen. 
Kolonnen Trufis, Sammeltaxis und uralter Busse schieben sich stotternd durch die steilen Gassen. Die schmalen Bürgersteige sind von fliegenden Händlern mit Bergen an Küchenzubehör, buntem Plastikspielzeug und Kleidung oft bis auf die Fahrbahn hinaus zugestellt. Durch das Durcheinander suchen sich sowohl elegant gekleidete Menschen als auch Frauen in bunten Röcken mit Tragekiepen ihren Weg .
Welch anderes Bild wenige Meter weiter in der leuchtend blauen Station der Linea Azul. Gewienerte Böden, freundliches Personal am Fahrkartenschalter. Und schwupps sitzt man mit einem Ticket für umgerechnet 40 Eurocent auch schon drin in der inzwischen wichtigsten Touristenattraktion von La Paz. 

Vorzeige-Projekt aus Österreich

Auf neun Linien schweben die Gondeln der Seilbahn „Mi Teleferico“ fast geräuschlos über das Häusermeer des höchstgelegenen Regierungssitzes weltweit. Bis zu 26.000 Menschen befördert das System über alle Linien pro Stunde in Höhen zwischen 3.200 und 4.100 Metern. W-Lan an Bord ist inklusive, ein Sitzplatz und Aussicht sind garantiert. Und wer Gepäck oder ein Rad dabei hat, der bezahlt einfach doppelt. 
„Die Seilbahn hat unser Leben vollkommen verändert“, sagt der Hotel-Manager Vera Rozo, der in Deutschland zur Schule gegangen ist und in Frankreich studiert hat. Die Fahrzeit von der Oberstadt El Alto bis ins Zentrum habe sich in der Hauptverkehrszeit von zwei Stunden auf 30 Minuten verkürzt. 
Die Viertel der Armen und Reichen seien seit der Inbetriebnahme der ersten Linien 2014 zusammengewachsen, viele illegale Bauten von oben aufgeflogen. Manche Geschäftsleute werben heute mit großen Lettern auf ihrem Dach für Krankenhäuser oder Immobilien. 
Besuchern bietet das Netz verbundener Linien in der dünnen Anden-Luft eine spektakuläre Möglichkeit zur kostengünstigen Stadterkundung. Die Seilbahn-Experten von Doppelmayr aus Österreich haben für das Vorzeigeprojekt spektakuläre Streckenführungen realisiert. 

Vier Kilometer lange Strecke

Wie in einem Freizeitpark schweben die Gondeln der Blauen Linie über ein Flusstal und unter mehreren Hängebrücken hindurch. Überdachte Gangways verbinden am Ende der gut vier Kilometer langen Strecke die blaue, gelbe und grüne Linie miteinander. 
Die grünen Gondeln schweben besonders niedrig über die Luxusvillen auf dem Hügel San Alberto, bevor sie ins Tal der Zona Sur hinabgleiten, wo die meisten Europäer wohnen. Die gelben Gondeln streben aufwärts ins Viertel Mirador, wo sich aus den bodentiefen Fenstern der Bergstation ein spektakulärer Blick auf die bis in steilste Lagen bebauten Hänge der Umgebung und auf den Hausvulkan Illimani öffnet. 
Wenn das System 2020 mit zwölf Linien und 32 Stationen in Betrieb ist, wird es täglich mindestens eine halbe Million Passagiere befördern. Und dann werden Besucher aus der Vogelperspektive sogar eine komplette Runde über der Stadt drehen können.

Martin Wein
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