Kapverden

Kleine Inseln, große Pläne

Der Pico do Fogo ist der einzige noch aktive Vulkan der Kapverden.

Der Pico do Fogo ist der einzige noch aktive Vulkan der Kapverden.

Kapverden: Wie TUI und Riu ein neues Zielgebiet in den Massentourismus führen

Mit glitzernden Steinen versuchen die Kinder auf Fogo Geld zu verdienen.

Mit glitzernden Steinen versuchen die Kinder auf Fogo Geld zu verdienen.

Markiert den Start von Riu auf den Kapverden: das Funana Garopa auf Sal.

Markiert den Start von Riu auf den Kapverden: das Funana Garopa auf Sal. Fotos: pa

Der Schaufellader pustet graue Abgase in die windige Ebene. Auf einem Geröllfeld im Süden von Boavista räumt er den Weg für den Massentourismus frei. In zwei Jahren soll auf der Kapverden-Insel ein neues Resort eröffnen, ein Riu-Clubhotel mit 1.000 Zimmern. Noch verliert sich die Küstenlinie von Santa Monica unverbaut am Horizont. Schäumende Atlantik-Wellen lecken über buttergelben Sandstrand. Weiß markierte Steine lassen die Dimensionen erahnen. „Das Riu Touareg ist der nächste Schritt einer Erfolgsgeschichte“, sagt TUI-Einkaufsleiter Ralf Horter. Der Erfolgsgeschichte von TUI und Riu auf den Kapverden.

Der erste Schritt – das war vor drei Jahren, als auf der Nachbarinsel Sal in Santa Maria das Riu Funana mit 500 Zimmern in Betrieb ging. Rund 1.600 deutsche Gäste verbrachten in jener Saison einen Kapverden-Urlaub mit TUI, die meisten davon im Riu Funana. Ein Jahr später legte die spanische Kette das zweite Haus auf Sal nach: das Riu Garopa mit 500 Zimmern, direkt neben dem Riu Funana. Flankierend richtete TUI Fly einen Direktflug auf die Inseln vor Westafrika ein. Das Produkt war rund, und die Nachfrage rollte wie ein Schneeball. Im vergangenen Jahr zählte die World of TUI schon 65.000 Kapverden-Kunden, darunter 16.000 aus Deutschland.

Damit ist der Reisekonzern klarer Platzhirsch auf Sal. Mehr als die Hälfte der Touristen wird von dem Smiley-Veranstalter hierher verfrachtet. TUI-Portugal-Chef Duarte Correia will diesen Vorsprung ausbauen – mit einer Verdopplung der Gästezahlen 2009. Im nächsten Sommer sollen 286 TUI-Flieger auf Sal und Boavista landen. Die nötigen Übernachtungskapazitäten stellt das Clubhotel Riu Karamboa bereit, das im November mit 750 Zimmern auf Boavista eröffnet hat. Ein sandfarbener, hufeisenförmiger Bau mit Zinnen und Kuppeln, keine fünf Minuten vom neuen Flughafen entfernt. Riu-Vorstand Pepe Moreno erwartet eine Auslastung von 80 Prozent im ersten Jahr. Danach sollen es 90 Prozent sein, so viel wie im Hotelzwilling Riu Funana Garopa auf Sal. Boavista soll Volumen bringen
So schnell die Entwicklungen jetzt voranschreiten, so träge gestaltete sich der Anfang. Nachdem der frühere TUI-Vorstand Ralf Corsten 1987 ein Exposé über die Destination verfasst hatte, geschah zunächst nichts. Erst 1997 wurden die Pläne wieder ausgegraben, die wirtschaftliche, politische und ökologische Lage sondiert, Partner gesucht. Von den neun bewohnten Inseln der Kapverden fiel die Wahl auf Sal, weil die Italiener dort bereits erste touristische Strukturen angelegt hatten und es einen internationalen Flughafen gab.

Tauchen, Schnorcheln, Surfen und Segeln. Hochseefischen, Strandsegeln und Buggyfahren – dafür, dass es auf Sal nichts außer Sand, Salinen und Geröll gibt, wird für den Zeitvertreib einiges geboten. Nach diesem Vorbild sollen auch die Gäste auf Boavista beschäftigt werden – „der Insel, die künftig das Volumen bringen soll“, wie TUI-Produkt-Manager Oliver Müller-Dukat sagt. Bei einem Durchmesser von 30 Kilometern besitzt Boavista 55 Kilometer Sandstrand, genügend Platz für Action. Außerdem sind auf der drittgrößten Kapverden-Insel Wal- und Delfinbeobachtungen buchbar.

Hauptmotiv der Kapverden-Urlauber ist jedoch Entspannung. Horter zitiert aus der TUI-Marktforschung, wenn er die Zielgruppe als „klassische Sun-and-Beach-Urlauber“ beschreibt, mit einer Vorliebe für „eine internationale und zwanglose Atmosphäre, große Pool-Landschaften und All-inclusive“.

Unter Sightseeing-Druck gerät man auf Sal wahrlich nicht. Die Sehenswürdigkeiten lassen sich an einem Tag stressfrei abfahren. Von Palmeira mit dem wenig malerischen Frachthafen geht es über eine Schotterstraße nach Buracona. An ruhigen Tagen kann man dort in ein natürliches Schwimmbecken zwischen Vulkangestein tauchen. Eine ungewöhnliche Bademöglichkeit ist auch der Salzsee bei Pedra de Lume. Hinter einem Tunnel öffnet sich der Vulkankrater mit rosa und weiß glitzernden Salzfeldern. Unweit von Pedra de Lume entsteht gerade eine neue Touristenzone: das Projekt Vila Verde mit 1.250 Wohneinheiten – Apartments, Hotels und Zweitwohnungen. „For the rest of your life“, steht auf einem Schild.

Die Zahl der Gästebetten auf den Kapverden ist in den vergangenen acht Jahren rapide gestiegen, um mehr als das Doppelte auf fast 11.300. Portugal, Großbritannien, Italien und Deutschland stellen die meisten Urlauber. Mehr Devisen als der Tourismus bringen bisher noch die Überweisungen der Emigranten ins Land: Von den 1,2 Millionen Kapverdiern machen sich rund 700.000 im Ausland verdient, um ihre Familien zu ernähren. Konkurrenz für die Kanaren?
Carlos sagt: „Ich liebe Schnee!“ Der Touristenführer auf der Insel Fogo hat mal in Deutschland gelebt und studiert. Auf den Kapverden gibt es nur zwei Jahreszeiten: Trockenzeit und Regenzeit (Juli bis September), was aber nicht heißt, dass es tatsächlich regnet. Die Temperaturen schwanken wenig, „und es ist immer fünf bis sechs Grad wärmer als auf den Kanaren“, wirbt TUI-Manager Horter für das aufstrebende Badeziel. Bei den Preisen schneiden die Kapverden jedoch schlechter ab. Die Urlaubswoche kostet etwa 150 Euro mehr als auf den Kanaren. Und die Flugzeit ist zwei Stunden länger. Dafür können die Kapverden mit Vielfalt punkten. Neben den wüstenhaften Ostinseln Sal, Boavista und Maio gibt es grünere Flecken wie Santo Antao und Sao Vicente im Nordwesten und Fogo im Süden des Archipels.

TUI organisiert von Boavista und Sal Tagesausflüge nach Fogo, der einzigen vulkanisch aktiven Insel der Kapverden. Der Flug mit der nationalen Airline TACV, die auch Air-Pässe für mehrere Inseln anbietet, dauert knapp eine Stunde. Carlos zeigt den Besuchern die Hauptstadt Sao Filipe mit ihren dreieckigen Plätzen und Sobrados, zweistöckigen Herrenhäusern aus portugiesischer Kolonialzeit. Erst seit 1975 sind die Kapverden unabhängig, und erst seit 2004 werden sie von der UNO nicht mehr zu den ärmsten Ländern gezählt. Dennoch haben viele Haushalte weder Strom noch fließend Wasser. Touristen landen auf Fogo meist als Tagesausflügler an. Sie kommen, um die schwarze Kraterlandschaft um den Pico do Fogo zu sehen. In dem fast 3.000 Meter hohen Vulkan grummelt es noch immer, vor 13 Jahren hat er das letzte Mal gespuckt. Am Fuße des Berges hausen 1.300 Menschen, obwohl man sich kaum einen menschenfeindlicheren Ort vorstellen kann. Die Straße endet mit dem Dorf.

Bislang ist die Baustelle des Riu "Touareg" (so der Projekttitel) auf Boavista nur über eine Buckelpiste zu erreichen. Doch noch in diesem Jahr sollen die rund 20 Kilometer bis zum Flughafen asphaltiert werden, versprechen die Verantwortlichen. Zur Geduldsprobe wird hingegen der Ausbau des Flughafens. Mit einer Verlängerung der Startbahn sei frühestens in sieben Jahren zu rechnen, heißt es. Solange kann TUI Fly keine Direktflüge anbieten, weil mit den Boeing 737-800 das verlangte Startgewicht nicht erreicht wird. Derzeit steuert der Ferienflieger Boavista im Gabelflug mit Sal ab Düsseldorf, Frankfurt, Hannover und München an. Im Sommer fällt Hannover aus dem Programm. Die Kapverden sollen als Ganzjahresziel aufgebaut werden, mit dem Schwerpunkt auf dem Winter.

Die Vorratskammern im Riu Funana Garopa auf Sal sind reich gefüllt. Berge von Gemüse, Obst, Fleisch und Fisch lagern in den Regalen für die All-inclusive-Verköstigung von bis zu 2.000 Urlaubern. Allein 200 Kilo Kartoffeln werden heute von den 150 Küchenangestellten verarbeitet. Die Säcke wurden eben erst geliefert, denn nach den Hygienevorschriften dürfen frische Lebensmittel nicht länger als einen Tag in den Kühlräumen bleiben.

Der logistische Aufwand auf den Kapverden ist enorm. 93 Prozent des Materials in den Riu-Anlagen muss importiert werden. Das Personal hingegen wird fast ausschließlich auf den Inseln rekrutiert. „Als Erstes mussten wir denen beibringen, dass sie Schuhe tragen müssen“, erinnert sich Hoteldirektor Juan Manuel Fernández Puebla an den Kaltstart.

Die Kapverdier arbeiten als Zimmermädchen und Kellner, aber auch als Animateur und Chefkoch. Weil nicht alle lesen können, sind die Regeln zum Desinfizieren der Hände in Bildern an die Küchenwände geklebt. Bis zu 15.000 Liter Wasser werden täglich in der Küche des Riu-Hauses verbraucht. Auf einer Insel, deren größtes Problem Wassermangel ist, ein beträchtlicher Batzen. Allerdings gibt es ein Gesetz, nach dem Hotels ihren Eigenbedarf selbst decken müssen – mit einer Anlage zur Meerwasserentsalzung. Zudem hat die Regierung Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ergriffen: Mitarbeiter werden in Schulungen sensibilisiert, eine Windanlage ist in Planung. Aufforstungsprogramme und eine Ökosteuer gibt es schon. Vorstoß in die Einöde
Die Diskussion, ob All-inclusive-Anlagen den Einheimischen Geschäft wegnehmen oder nicht – sie erübrigt sich auf Boavista. Selbst im Hauptort Sal Rei gibt es nur wenige Läden und Restaurants. Im Supermarkt am großen Platz kann man importiertes Obst und Gemüse erstehen, und afrikanische Händler bieten ihre Souvenirs feil. An der Kaimauer wird Tunfisch verkauft; über den kopflosen Fischen schwärmen Fliegen.

Auch mit der Tier- und Pflanzenwelt kommt sich der Tourismus kaum ins Gehege. Überweidung und unkontrollierte Abholzung haben auf Boavista zur Wüstenbildung geführt. Lediglich Schildkröten gelten als schützenswerte Spezies. Hotels dürfen daher erst 120 Meter hinter der Küste errichtet werden, und gedämpfte Beleuchtung ist Pflicht. Aus optischen Gründen sind nur Flachbauten erlaubt – auf Sal bis zu zwei Stockwerken, auf Boavista bis zu drei. Die Flora kommt aus eigener Kraft über niedere Gewächse nicht mehr hinaus; vereinzelt stehen Palmen und Akazien herum. Der Wind hat ihnen Leningrad-Cowboys-Sturmfrisuren geföhnt. „Wo nichts ist, kann man nichts zerstören“, sagt Horter über den Vorstoß von TUI.

Der Masterplan für Boavista weist bis 2050 drei Zonen zur touristischen Bebauung aus: Chave und Morro de Arrlia (22.300 Zimmer) im Nordwesten sowie Santa Monica (28.000 Zimmer) im Süden. Gleichzeitig wurden mehrere Naturschutzgebiete definiert. In trockenen Tüchern ist ein 263-Zimmer-Haus von Iberostar, das Ende dieses Jahres eröffnen soll.

Wie viel von dem Masterplan Vision bleibt, ist schwer abzuschätzen. Für die Menschen möchte man hoffen, dass mit den Ressourcen, die sie ihren Geldgebern so arglos zu Füßen legen, behutsam umgegangen wird.
Pilar Aschenbach
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