Marokko

Agadir: Alles ist neu

Der neun Kilometer lange Strand bietet auch ruhigere Abschnitte als diesen.

Der neun Kilometer lange Strand bietet auch ruhigere Abschnitte als diesen.

Trotz der Moderne bietet die Stadt einen Hauch von Orient

Fasziniert viele Touristen: Marokkaner mit Schlange

Fasziniert viele Touristen: Marokkaner mit Schlange. Fotos: sw

Wer zum ersten Mal nach Agadir kommt, um hier seine Ferien zu verbringen, wird sich erstaunt die Augen reiben: Das soll ein Urlaubsort aus Tausendundeiner Nacht sein? Agadir ist die modernste Stadt des Landes. Fast alles ist neu hier: die Wohnhäuser, die Geschäfte, die Restaurants.

Wer Historisches sucht, wird nicht fündig. Ein ‧Erd‧beben hat die alten Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Das war im Jahr 1960. Die Erde bebte nur 15 Sekunden. Das reichte, um 40 Prozent der Bausubstanz zu vernichten. Schätzungsweise 15.000 Einheimische und Urlauber starben.

Auch der Hafen, heute einer der bedeutendsten des Landes, wurde zerstört. Von der Kasbah, die vor 400 Jahren auf einem Berg in 240 Metern Höhe zum Schutz vor eroberungswütigen Portugiesen erbaut wurde, blieben nur die Außenmauern stehen. Trotzdem lohnt es sich, zur Kasbah hinaufzufahren. Oben wartet der überwältigende Blick über Agadir und aufs Meer.

Auf dem Vorplatz zur Kasbah-Ruine begegnet den Urlaubern ein Hauch von Orient: Kamele, Einheimische, die mit Schlangen hantieren und Souvenirverkäufer, die Schmuck anbieten. Hier können die Urlauber üben, was zu jedem Urlaub im Orient dazugehört: zu handeln.

Der beste Ort dafür ist in allen nordafrikanischen Ländern die Medina, die Altstadt mit verwinkelten Gassen und unzähligen Läden. Aber selbst die Altstadt ist – so paradox das klingt – neu in Agadir. Denn auch die echte Medina fiel dem Erdbeben zum Opfer. Der sizilianische Künstler Coco Polizzi begann 1992, fünf Kilometer vom heutigen Stadtzentrum entfernt eine neue Medina zu bauen, die immer noch erweitert wird.

Polizzi, Investor und Eigentümer, schuf die „Altstadt“ nicht nach alten Plänen und geretteten Materialien, sondern frei nach seiner Fantasie. So entstand eine Art Freilichtmuseum mit Gassen, Läden und Cafés – durchaus mit Flair. Es ist ebenso einen Besuch wert wie das Amazigh Heritage Museum, das Berbermuseum. Auch wer sich für Geschichte und Alltagsleben dieser nordafrikanischen Ethnie nicht sonderlich interessiert, findet hier einen reichen Schatz an Volkskunst: Teppiche, Truhen, Kleidung und Schmuck. Besonders beeindruckend unter den 900 Exponaten ist der traditionelle Silberschmuck.

Die wenigen erhaltenen historischen Zeugnisse und das abgesehen von den Palmen europäisch wirkende Stadtbild erklären nicht, warum Agadir zum wohl wichtigsten touristischen Hotspot des Landes herangewachsen ist. Es ist der Strand – neun Kilometer lang, feinsandig, gesäumt von einer modernen Strandpromenade und auch ein heißer Tipp für Surfer. Golfer, Tennisspieler, Läufer, das Sportangebot lässt ebenso kaum einen Wunsch offen wie das Hotelsortiment. Dazu kommt das milde Klima rund ums Jahr.

Um mehr Gäste anzulocken, sollte in Agadir ein Freizeitpark mit dem Namen Agadir Land entstehen. Die Verträge waren unterschrieben, dem Investor ein Grundstück zur Verfügung gestellt, als es Streit um das Projekt gab. Dieses liegt nun auf Eis, bis der Streit beendet ist. Das kann Jahre dauern.
Horst Schwartz