Mongolei

Aus der Taiga in die Steppe

Mal wild, mal lieblich: Die Mongolei bietet Kajakfahrern viel Abwechslung.

Mit dem Boot unterwegs im Norden der Mongolei

Die mongolischen Jungen finden Schokoriegel super. Fotos: wog

Als der Wind aus der Taiga Süd-Sibiriens nachlässt, beginnt das Abenteuer. Wir ziehen die Kajaks ins Wasser des Khuvsgul-Sees. Hier, im Norden der Mongolei, auf 1.650 Metern Höhe, umrahmen Bergketten mit Lärchenwäldern und Wiesen dieses tiefblaue Süßwasserbecken. Die russische Grenze ist nah.

Eine zweitägige Überlandfahrt hatte uns von der lärmenden Hauptstadt Ulan Bator bis hierher geführt: 800 Kilometer, meist über ungeteerte Holperpisten und Feldwege, aber durch Landschaften von enormer Tiefe und großer Einsamkeit.

Sibirische Kaltluft und eifriges Paddeln schieben die Boote über die gleißenden Wellenkämme zur Südspitze des Khuvsgul. Dort, bei der Siedlung Khatgal, führt der Egin Gol als einzig natürlicher Ablauf die Seewasser Richtung Südosten: aus den Taigawäldern hinab, durch die Weite der Waldsteppen, wo Herden aus Schafen, Yaks, Ziegen und Pferden die riesigen Flächen sprenkeln. Nach 550 Kilometern mündet der Egin Gol - der "Eg" - in den Selenge, einen der anderen großen Ströme des Landes. Bis dorthin werden wir seinem Lauf mit den Booten folgen - 17 spannende Tage lang. Dann noch zwei Tage weiter auf dem Selenge, wo an einer Brücke ein Fahrer auf uns warten soll.

Bald nach dem Khuvsgul-See öffnet sich ein sanftes Tal zu enormer Breite, der Strom verzweigt sich. Wir schippern durch sattgrüne Wiesen, die übersät sind mit Edelweiß, umfahren mit unseren Booten Kühe und Yaks, die kauend im Wasser stehen. Gelegentlich rücken Felswände bis zum Ufer vor, formen sanfte Canyons. Mal grüßt ein einsamer Angler herüber, mal nicken uns Pferde zu. Zwei Hirten in knöchellangen Mänteln - den traditionellen Deels - reiten auf Pferden durch den Fluss, nähern sich einer weißen Jurte. Wildgänse, Kormorane und Singschwäne steigen vor den Booten in den Himmel.

Dann folgt eine sportliche Eg-Passage. Dort schäumt und schrammt das Wasser an Ufern entlang, die mit Weidengestrüpp, allerlei hohen Gräsern, mit Schilf und Baumleichen gespickt sind. In den oft labyrinthischen Verzweigungen kostet es Kraft, die trägen Faltkajaks durch 180-Grad-Mäander zu manövrieren. Das August-Wetter meint's fast immer gut mit uns: Gelegentlich sind die Zelte morgens mit einer weißen Raureifschicht überzogen. Doch kaum erhebt sich die Sonne bezaubernd hinter den Grashügeln, wird's mollig warm.

Bevor wir am sechsten Morgen aufbrechen, quert ein kleiner Mongolen-Junge zu Pferd den Strom, schenkt uns einen Beutel mit getrockneten Quarkplättchen, Aruul genannt. Wir überreichen ihm im Gegenzug einen dicken Schokoriegel, was er super findet. Am Abend brutzeln wir am Feuer selbstgeangelte Forellen, backen dazu Fladen aus Wasser, Mehl und Salz, lauschen dem Prasseln der Flammen und dem Murmeln des Flusses, über dem die ersten Nebelbänke wabern.

Als wir auf halbem Wege Erdenebulgan erreichen, landen wir an. Denn in dieser rustikalen Siedlung mit ihren buntbedachten Holzhäusern gibt's auch ein winziges Lebensmittelgeschäft. Dort nimmt ein braun gegerbter Mongole eine grobe Baumsäge zur Hand, säbelt damit von einer tiefgefrorenen Rinderkeule ein passendes Stück für uns ab: Nie haben wir bessere Steaks verspeisen dürfen.

Zwei besonders reizvolle Inseln, munter umspült von den Eg-Fluten, nutzen wir als Startpunkte, um die umliegenden Bergketten zu erkunden. Direkt von den Ufern stapften wir die Hänge hinauf. Wildbeeren baumeln an Büschen. Wir schreiten über Blumenwiesen, ein Sammelsurium aus Disteln und Enzian, mit Orchideen und Frauenschuh, mit Glockenblumen, Feuerlilien, Anemonen, und Rittersporn.

Wir steigen noch höher hinauf, wo Murmeltiere hinter große Felsbocks huschen. Über uns kreisen Adler, Milane und Geier in der Thermik. Und unter uns, da strömt der Eg durch sein wahrlich bezauberndes Tal weiter Richtung Südost.

Wolfgang Gessler
Anzeige