Indonesien

Die Magie der grauen Steine

Die Welterbestätte in Zentraljava umfasst 500 Buddhastatuen

Borobudur: eine der größten buddhistischen Tempelanlagen der Welt

Guide Priyana ist Muslim, fühlt sich dem buddhistischen Tempel aber eng verbunden. Fotos: mk

Priyana hatte wieder diesen Traum letzte Nacht. Er saß auf dem Gipfel des Borobudur, als die Buddhastatuen in ihren Stupas vom Tempelberg abhoben wie Ufos. Sie verschwanden in der Dunkelheit, nicht ohne zuvor einen gebündelten Lichtstrahl zurück auf die Erde zu schicken. Ein alter Mann bedeutete ihm noch, es werde eine Zeit kommen, da würde Priyana schon verstehen, was das alles zu bedeuten habe.

Lange war solcher Aberglaube tief verwurzelt auf Java, bis animistische Ausprägungen des Islam mehr und mehr unterbunden wurden. Doch fernab jeglicher Träume war Priyanas Leben schon immer eng mit dem Borobudur verbunden. Vor 49 Jahren kam er in einer Bambushütte zur Welt, die damals noch im Schatten eines mächtigen Banyanbaums nur 200 Meter vom Tempel entfernt stand. Dass Muslime wie Priyanas Familie in einem der größten buddhistischen Tempel der Welt eine Zeremonie begingen, darin lag damals noch kein Widerspruch.

Inzwischen wird jedoch offenkundig, dass Buddhismus nicht die Glaubensrichtung des Landes ist. Beinahe wie in Priyanas Traum hoben einige der Stupas eines Nachts tatsächlich vom Tempelberg ab, als muslimische Fundamentalisten 1985 versuchten, die Anlage zu sprengen. Der Islam ist schließlich eine Religion der Schrift. Der Borobudur ist dagegen ein in Stein gehauenes Bild. Es gibt kein einziges Schriftzeichen, dafür Tausende Reliefgalerien, geschaffen dafür, dass auch Analphabeten sie lesen können.

Die unteren Terrassen erzählen vom Alltagsleben und -leiden der Menschen. Je weiter sich die Bildergalerie nach oben schraubt, desto vergeistigter werden die Darstellungen: Am Gipfel sitzen 72 Buddhastatuen in glockenförmigen Stupas in Meditationshaltung versunken. Man kann sie sehen oder eben auch nicht, denn der Vulkanstein ist wie ein Gitter durchbrochen, so dass die Figuren in einer Art Käfig sitzen. Der zentrale Stupa gibt den Blick ins Innere nicht mehr frei, ist reine Abstraktion und für Buddhisten Sinnbild des Nirwanas.

Shailendra-Herrscher erbauten den Borobudur im 8. Jahrhundert, verließen den Tempel aber bald, weil der 40 Kilometer entfernt gelegene Vulkan Merapi die Gegend mit Ausbrüchen heimgesucht hatte und die Herrscher ohnehin ihr Machtzentrum nach Ostjava verlagern wollten.

Dann geriet der Borobudur in Vergessenheit, bis der britische Gouverneur Thomas Stamford Raffles 1814 den überwucherten Berg freilegen ließ. Erst eines der größten Restaurierungsprojekte der Kunstgeschichte sicherte das heutige Erscheinungsbild des Bauwerkes, galt es doch, mehr als zwei Millionen Steinquader und 500 Buddhastatuen zu katalogisieren.

Abends wird es stillUm sechs Uhr abends herrscht auf dem Borobudur fast schon stockfinstere Nacht. Dann ist es endlich still geworden, und man beginnt ein wenig von der Spiritualität des Platzes zu erahnen, wie sie die Baumeister einst erdacht haben: als ewigen Kreislauf von Anfang und Ende.

Beim Aufbruch dreht sich Priyana noch einmal um und schaut zurück zum Tempel. Vielleicht hofft er ja, irgendwo einen Lichtstrahl zu sehen, der ein paar Besucher ins Nirwana ‧beamt. Schließlich wartet er noch immer auf die Erklärung seines Traums. Doch für heute schläft der Berg.
Margit Kohl
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