Bhutan

Bhutan: In den wilden Bergen

Im abgeschiedenen Königreich prägen buddhistische Traditionen den Alltag

Gerade hat hier jemand die Zeit zurückgedreht. Hochhäuser, Einkaufszentren, Schnellstraßen: Alles weg. Kein Gestank mehr und keine Autos. Stattdessen: Stille. Und eine neue, fast mittelalterlich wirkende Kulisse, in der Mutter Natur Regie führt und ein paar Bauern auftreten, die mit Ochsen ihre Felder pflügen. Abflug in Bangkok, Ankunft in Bhutan – der Kontrast könnte größer nicht sein.

Gebete für Buddha
Am Ende des Tals stehen in Reih und Glied die schneebedeckten Riesen des Himalaya. Heute haben sie sich schüchtern verhüllt und lassen von höchsten Höhen Wolken herunterfallen. Darunter liegt eine den Bergen abgerungene Landschaft: Reisfelder in allen Schattierungen monsungetränkten Grüns, parzelliert in geometrischer Anmut, verziert mit flatternden Gebetsfahnen, auf dass die Bitten der Gläubigen direkt dorthin wehen, wo Buddha gerade meditiert. Die Anwesen der Landwirte stehen stolz dazwischen, gebaut vor Jahrhunderten oder erst letzte Woche – man sieht es ihnen nicht an.

Über Jahrhunderte war Bhutan abgeschnitten vom Rest der Welt, abgeschottet durch Felswände und Gletscher, zugänglich über Pässe, die nur Yak-Hirten und Salzhändler kannten. 1974 kamen dann die ersten Touristen.

Heute ist die Zahl der Besucher nicht mehr beschränkt. Einreisen darf indes nur, wer bei einem lizenzierten Veranstalter eine Tour bucht und saisonabhängig 200 bis 250 US-Dollar pro Tag entrichtet – darin enthalten sind dann Guide, Unterkunft, Essen und Transfers. Bhutan ist somit exklusiver und weniger überlaufen als Nepal oder Indien, wohin es Reisende mit kleinerem Budget zieht.

Bhutan geht einen Mittelweg zwischen Mittelalter und Moderne. Das Königshaus hat seine absolute Macht abgegeben und lässt nun ein Parlament entscheiden. Statt das Wirtschaftswachstum zu steigern steht laut Verfassung die „Gross National Happiness“ im Zentrum des Regierungsauftrags – die Bürger sollen nicht reicher, sondern zufriedener werden.

Die Traditionen des Buddhismus prägen immer noch den Alltag. Astrologen bestimmen wichtige Termine, Klosterburgen bewachen die Dörfer, bei Festivals kommen Zehntausende zum Tanzen und Beten. In den Krankenhäusern kombiniert man westliche Medizin mit dem alten Wissen über Heilkräuter. Die Jugend liebt Bollywood, doch in der Schule und beim Bogenschießen trägt sie folgsam die Nationaltracht.

Geborgen im Tigernest
Derart herausgeputzt pilgern die Gläubigen auch hinauf zum Tigernest-Kloster, das wie ein Schwalbennest an einem 900 Meter über dem Tal thronenden Felsen klebt. Ein auf einer fliegenden Raubkatze reitender Guru soll hier einst gelandet sein. Oben angekommen scheint die Zivilisation ganz weit weg zu sein. Doch man fühlt sich trotzdem geborgen im „Land des Donnerdrachens“, wo nur ein paar Menschen, die wilden Berge und der Himmel wohnen.
Helge Bendl
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