Oman

Musandam: Sehnsucht nach Stille

Exklave Musandam: Fjorde wie in Norwegen, nur deutlich wärmer

Exklave Musandam: Fjorde wie in Norwegen, nur deutlich wärmer. Foto: hs

Nicht nur Europäer, auch reiche Emiratis lieben die Exklave

Sie haben es gerade abgebaut, die breiten weißen Bahnen eingerollt, das Gestänge wieder verstaut, die wertvollen Teppiche weggeschafft, die Möbel verladen: Fast einen Monat lang hat der Bruder des Herrschers von Abu Dhabi hier am Khor-Najd-Fjord im Nachbarland Oman in seinem Zelt auf dem breiten Felsplateau gecampt – in allem Luxus zwar und mit einer Heerschar Helfer, aber in der Wildnis, am Ende einer schmalen, schlecht befestigten Straße.

Der Mann kommt jedes Jahr hierher. Er könnte sich die größte Suite in jedem Hotel der Welt leisten, aber manchmal, da zeltet er lieber: weil er von hier aus den wahrscheinlich schönsten Ausblick genießen kann, den die arabische Halbinsel zu bieten hat – hinab auf die tief eingeschnittenen Fjorde von Musandam, die von über 1.000 Meter hohen rotbraunen Bergen gesäumt sind. Hinab auf einsame Fischerboote. Unten in den Wellen tanzen derweil Delfine, in der Luft segeln Greifvögel auf den Böen und hinter dem Kamm im Rücken grasen ein paar Ziegen.

Nur 150 Kilometer von Dubai entfernt
Nichts lässt eine Festlegung auf Jahre oder gar Jahrhunderte zu, alles sieht aus wie seit Ewigkeiten: als ob die Musandam-Halbinsel an der Straße von Hormuz außerhalb der Zeiten existiert – es sei denn, am Horizont strebt gerade die Silhouette eines Tankers durch den Dunst dem Indischen Ozean entgegen.

Die Wolkenkratzer von Abu Dhabi und Dubai sind fern, die zehnspurigen Stadtautobahnen, blinkenden Leuchtreklamen, die Mega-EinkaufsCenter und Erdöl-Verlade-Terminals, die Containerhäfen und riesigen Flughäfen – obwohl die omanische Exklave Musandam nur etwa 250 Kilometer von Abu Dhabi und gerade einmal gut 150 Kilometer von Dubai entfernt ist.

Die Einheimischen der Oberschicht aus den Emiraten suchen solche Orte. Sie sehnen sich zwischendurch nach dieser Stille, und es ist, als pilgerten sie durch die Zeiten zurück in die Welt ihrer Väter – ins Damals, als solche Felsplateaus die Wohnzimmer ihrer Ahnen waren, alle barfuß liefen und abends ums Lagerfeuer saßen. Nur der Wind kam zu Besuch, und die Ruhe regierte. Sie tragen die Sehnsucht danach noch immer in sich, weil sich ihr Leben so schnell veränderte, dass sie mit den Sinnen kaum hinterherkamen.

An Stellen wie dieser spielen die Kindheitserinnerungen der Älteren und die Geschichten der Großeltern. Und anders als vielerorts in den boomenden Emiraten bewahrt der Herrscher Omans diese Vergangenheit. So sehr sogar, dass die Nachbarherrscher zu ihm zu Besuch kommen. Mit ihren Zelten. Und reichlich Gefolge.

Rekordjagd? Nein, danke!
Sultan Qaboos hat sein Land binnen eines halben Menschenlebens aus dem Mittelalter in größten Wohlstand geführt, hervorragende Infrastruktur geschaffen und ist dennoch bei den arabischen Wurzeln geblieben. Die simple Formel lautet: Wohlstand? Gern. Rekordjagd? Nein. Natur schützen, authentische Kultur pflegen, arabische Identität bewahren? Unbedingt.

Die abgelegene Musandam-Halbinsel ist zum Vergleich ungefähr halb so groß wie die Ferieninsel Mallorca und von weniger als 40.000 Menschen bewohnt, mit einer schmalen Passstraße über den Jebel Harim ans Hinterland angebunden. Nur Geländewagen können diesen Weg nehmen. Alle anderen fahren auf dem Asphalt der Küstenstraße in Richtung der kleinen Hauptstadt Khasab außen herum um die Berge.

Ein Blick wie in die Ewigkeit
Hat man sich dann aber am Khor-Najd-Fjord auf einen Felsblock gesetzt, mag man nie mehr aufstehen. Es ist, als ob ein seltsamer Magnetismus am Fortgehen hindert, weil der Blick bis in die Ewigkeit reicht. Musandam ist ein Zipfel Land, den man als Fremder nicht einfach nur sieht. Man spürt ihn.

„Allah hat hier Burgen aus Fels gebaut“, sagen die Einheimischen. Kein Wunder, dass der steinreiche Mann aus Abu Dhabi, der alles hat, mit seinem Zelt hierher kommt. Weil ihm zu Hause nur zweierlei fehlt: diese Stille. Und dieser Ausblick.
Helge Sobik
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