China

China: Wo die Götter wohnen

Buddhistisch? Taoistisch? Konfuzianisch? Hauptsache bunt!

Buddhistisch? Taoistisch? Konfuzianisch? Hauptsache bunt!

Tempel gehören im Land selten nur zu einer Religion

Kleine Tempel können für Reisende spannender sein als die großen Attraktionen.

Kleine Tempel können für Reisende spannender sein als die großen Attraktionen. Fotos: fh

Dichter Weihrauch vernebelt den kleinen Raum, einige Gläubige verbeugen sich vor kaum erkennbaren Götterstatuen, ein Wahrsager wartet auf einem Plastikhocker neben dem Eingang auf Kundschaft. Der kleine, namenlose Tempel in einer Seitengasse der Innenstadt von Xiamen bietet dem Reisenden das, was er klammheimlich in den großen Anlagen bei allem Pomp und Glanz vermisst: die Nähe zum Menschen, das Gefühl, einen kurzen Moment wirklich (und sprichwörtlich) in die fremde Kultur hineinschnuppern zu dürfen. In China, Hongkong und Macau gibt es Abertausende dieser kleinen Andachtsstätten, die in keinem Reiseführer auftauchen und doch typisch sind für die chinesische Glaubenswelt. 

Konkurrenz ist unbekannt
Freilich will der Westler nach zwei Minuten unbedingt wissen: „Welcher Religion gehört der Tempel eigentlich an?“ und „Wer wird hier angebetet?“. Diese Fragen können auch gestandene Reiseleiter in Verwirrung stürzen. Eine Buddha-Statue lässt sich in fast jedem Tempel finden, der nicht nur als museales Ausstellungsstück dient. Allerdings fast immer auch eine Handvoll taoistischer Götter, ein Ofen, um den toten Ahnen Opfer zu bringen, und mit großer Wahrscheinlichkeit noch eine Konfuzius-Statue, obwohl sich der Philosoph sicher nicht als Religionsstifter sah.

Die Erklärung für diese Vielfalt ist einfach: Die chinesischen Religionen haben keinen Anspruch auf Exklusivität, jeder Mensch muss sich seinen Weg zum religiösen Glück selbst suchen. Wer Buddhist ist, kann auch Taoist sein, wer die Ahnen verehrt, darf auch für Konfuzius etwas übrig haben (meist erinnert man sich vor großen Prüfungen an ihn).

Oder man wechselt einfach zwischen den Religionen, weil es die Lebenssituation erfordert. So erfreut sich der Buddhismus unter älteren Chinesen großer Beliebtheit, weil er mit seiner Vorstellung vom Paradies eine attraktive Vision für die Zeit nach dem Tod bietet. Der Taoismus wiederum hat mit seinen tausenden Göttern für jedes Problem garantiert einen passenden Spezialisten. Kein Wunder, dass sämtliche Religionsstatistiken im chinesischen Kulturraum hinfällig sind und mitunter Werte weit über 100 Prozent ergeben.
Hauptsache praktisch
Diese lockere Haltung macht sich auch bei der Ausgestaltung der Tempel bemerkbar, zumal die „All-in-One“-Variante für die Gläubigen einen großen Vorteil hat: Sie können so alle transzendentalen Geschäfte in einem Aufwasch erledigen.

Ein paar Indizien zur hauptsächlichen Orientierung gibt es allerdings doch: Taoistische Tempel sind oft in Schwarz und Gold gehalten, vor allem die Eingangssäulen, und die Buddha-Statue ist eher in einem Seitenraum untergebracht. Buddhistische Tempel legen dagegen eine Vorliebe für rot- oder holzfarbene Säulen an den Tag, und der Buddha darf in der Mitte der Haupthalle stehen. Am Tor wachen die vier Himmelswächter über ihn.

Für den westlichen Betrachter wirkt das ein wenig verwirrend und unübersichtlich. Für Chinesen übrigens auch – nur stört sich in China niemand daran.
Francoise Hauser
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