Tonga

Tonga: Das wunderschöne Nichts

Riesenmuschel, kleines Eiland: Nuku ist eine von 176 tonganischen Inseln.

Riesenmuschel, kleines Eiland: Nuku ist eine von 176 tonganischen Inseln.

Robinson spielen im südpazifischen Inselreich

Ungewöhnliche Bemalung: ein Inselflugzeug auf Tonga.

Ungewöhnliche Bemalung: ein Inselflugzeug auf Tonga. Fotos: jm

Es ist das Nichts, das für Europäer so faszinierend ist. Und Tonga hat viel von diesem Nichts. Von einer Insel, die für jeden Inselwitz taugen würde und damit dem Postkartenideal und Traumformat eines Europäers entspricht, sagt ein Tonganer verwundert: „Aber da gibt es doch gar nichts ...“ Dieses Nichts definiert sich über drei bis zehn Palmen, die ringsum von einem gleißend weißen Sandteppich umgeben sind. Der nächste Ring besteht aus Wasser, von Kristallklar über Hellblau und Grelltürkis bis zu tiefem Tintenblau. Natürlich lebt dort kein Mensch, und mit anderen Touristen muss man so ein Inseljuwel auch nicht teilen. Dutzende der 176 tonganischen Inseln sehen so aus. Sie heißen Malinoa, Tao oder Nuku, und Robinson-Willige müssen nur für ein paar Dollar ein Boot chartern, sich hinbringen lassen – und einfach nur noch in den Tag träumen, plantschen, schnorcheln, verliebt sein ... Das Picknickpaket bereiten die netten Freitags vom Resort zu, denn eine Kokosnuss zu köpfen, ist gar nicht so einfach. Jeden Tag küsst die Sonne als Erstes Tonga auf der Welt. Das Inselreich liegt von uns gesehen buchstäblich am anderen Ende, direkt an der Datumsgrenze. Wenn man hier zu Lande jemanden auf Tonga anspricht, dann denken die meisten immer noch an den dicken König, Taufaahau Tupou IV., 1967 inthronisiert und vor zwei Jahren verstorben. Seinen Sohn mag die Bevölkerung nicht. Er hat kein Charisma, und schließlich macht das 21. Jahrhundert nicht vor Tonga halt. Das Volk muckte auf und rang dem neuen König Macht ab. Ab 2010 soll es keine königliche Diktatur im tonganischen Parlament mehr geben. Doch 2010 ist weit, und so stattlich Tonganer sind, so vergesslich sind sie auch. Tonganer wirken manchmal wie große Kinder. Arbeit machen sie ohne Elan. Wird aber ein Spiel daraus, und gibt man aus Dankbarkeit und Anerkennung genügend zu essen, dann sind sie mit Eifer bei der Sache. „Fakalahi Meakai“ steht auf jeder tonganischen Münze. Das heißt „viel Essen“. Abgebildet sind Süßkartoffeln und Brotfrucht, Kokosnuss und Bananen. Tonganer leben in einer Art Familiensozialismus. Es reicht, wenn zwei oder drei aus der Großfamilie Geld verdienen, am besten in Neuseeland oder Australien, wo mehr zu holen ist als auf Tonga. Die anderen graben dafür die Süßkartoffeln aus oder schneiden die Taroblätter auf dem Familienfeld. Tonga ist autark wie kaum ein anderes Land der Erde. Auf der Insel der Friedliebenden, deren Hauptstadt Nuku'alofa heißt – übersetzt: Platz der Liebe –, versorgt sich jede Familie weitgehend selbst, baut Gemüse, Taro und Obst an. Und das zu jeder Familie gehörende Mutterschwein sorgt dafür, dass es immer genügend Ferkel für den Sonntagstisch gibt. Im Umu, dem Erdofen, werden die Speisen gegart. Hunger ist auf Tonga ein Fremdwort, für „stehlen“ existiert keine Übersetzung. Wenn, dann „borgt“ man sich nur etwas ... Geld wird, wie in einer Tauschhandelsgesellschaft üblich, nicht zwangsläufig benötigt. Es sei denn, man möchte sich Luxusgüter kaufen.
Jochen Müssig