Australien

Malen als Überlieferung

Wie die Kunst der Aborigines entsteht, können Reisende in der Umgebung von Alice Springs sehen.

Das Outback lockt nicht nur Abenteurer, sondern auch Kulturinteressierte

Bizarre Felsen: Natur- und Kunsterlebnis gehören im australischen Outback immer zusammen. Fotos: sh

Der Geländewagen rumpelt über die rote Sandpiste. Ein graues Monster mit getönten Scheiben und einem Anhänger, auf dem Feuerholz, Swags, die Schlafsäcke mit integrierter Matratze, und etliche Wasserkanister festgezurrt sind. "Getrunken?", dröhnt es von Guide Phil nach hinten. Es ist eher ein Befehl als eine Frage. Schmatzige Stille reicht als Antwort, alle nuckeln brav an ihren Flaschen.

Der Begriff Outback bezeichnet in Australien alle Regionen, die abseits der Zivilisation liegen. Das Outback mit seiner Weite, den bizarren Felsformationen und wunderlichen Tieren wie Wallabies, Wombats oder den Wischmop ähnelnden Emus steht auf der Wunschliste der Globetrotter ganz oben.

Die Insassen von Phils Vierradvehikel suchen in erster Linie keine Outdoor-Erfahrung, sondern Kunst, nämlich die der Ureinwohner - Aboriginal Art. Weil die meisten indigenen Künstler nicht in den großen Städten, sondern in abgelegenen Communities wohnen, gehört australisches Abenteuerleben zur Urlaubsreise dazu: Kochen überm Lagerfeuer, Schwimmen in eiskalten Seen und Schlafen unterm Sternenhimmel.

Die Dot Paintings australischen Ureinwohner hat wohl jeder schon einmal gesehen: Bunte Punkte bilden konzentrische Kreise, Rechtecke oder gewundene Linien. Die Muster zieren Tücher, T-Shirts und Tassen. Kaum ein Tourist kommt ohne ein getupftes Mitbringsel nach Hause.

"Alles Müll", schimpft Phil, der neben seinen Aufgaben als Fahrer, Feuermacher und Koch auch Kunstkenner ist. "Die Aborigines malen nicht, um es sich nett zu machen. Ihre Werke erzählen Geschichte, und sie geben so Wissen und Gebräuche weiter", erklärt er.Helle Häuschen tauchen am Horizont auf. Alice Springs. Der Konvoi stoppt vor einem nüchternen Betongebäude. "Ngurratjuta Art Centre" steht auf einem gewienerten Schild.

Innen ist es angenehm kühl, und an den Wänden hängen große Leinwände: Blaue Tupfen formen Wellen, Kreise oder explodierende Kaskaden. Manche sind plastisch, erinnern an bunte Smarties-Kuchen. In der Mitte steht ein wuchtiger Holztisch, darum herum verwaiste Hocker. Es ist schon spät, die Künstler haben bereits Feierabend. "Eine Sekunde", bittet Thierry Thivisol, der Manager der "Viele Hände Galerie", so die deutsche Übersetzung von Ngurratjuta.

Der Philosoph und Anthropologe hat sein Herz an die Kunst und Kultur der Aborigines verloren. Viele Ureinwohner seien noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Ihre alte Welt, wo sie als Nomaden umherziehen konnten, gebe es nicht mehr. Thierry hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Menschen zu helfen, in der Gegenwart anzukommen, ohne dass sie ihre Geschichten, Riten und Traditionen verlieren. "Ein gewaltiger Spagat", sagt er und redet auf sein Handy ein. Er strahlt: "Wenn ihr wollt, könnt ihr zu zwei Künstlerinnen nach Hause fahren."

Im Schatten eines Baums hockt die zierliche, dunkelhäutige Nora und pinselt konzentriert weiße Wellen auf einen braunen Hintergrund. Ihre Nichte Doreen sitzt daneben und verfolgt jede Bewegung der knorrigen Finger. Sie malt auch, muss aber noch viel lernen. Nora erklärt die Bedeutung ihrer Muster: traditionelle Körperbemalung, den Flug von Samen oder die Jagd nach Honigameisen. Frauenthemen. In der Kultur der Aborigines ist genau festgelegt, wer welche Themen malen darf - für Männer, Frauen und jeden Stamm.

"Die Kängurus kommen", mahnt Phil zum Aufbruch. Die Künstler von Ikuntji, einem Dorf irgendwo im Outback, warten. Der Weg dorthin ist weit und in der Dunkelheit gefährlich. Denn die Beuteltiere fressen nachts - und scheren sich bei ihrer Futtersuche nicht im geringsten um den Straßenverkehr.
Silke Haas
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