Australien

Victoria: Formel 1 der Pinguine

Phillip Island ist die Heimat von 60.000 Exemplaren

Die Nacht ist über dem Summerland Beach hereingebrochen. Zuschauer aus aller Herren Länder haben auf den Rängen Platz genommen. Die Scheinwerfer sind ausgerichtet. Der Strand liegt still und leer.

Doch dann öffnet sich der schwarze Vorhang des Meeres und spuckt die kleinen Gesellen aus. Kaum tauchen ihre Köpfchen aus den Wellen auf, sperren sie die Schnäbel auf, knurren und bellen. Als wären sie aus einem Comic entsprungen, watscheln sie dann mit abgespreizten Flügeln über den Strand zu ihren Bruthöhlen in den Dünen. Sie tippeln, schnäbeln, kopulieren, als wären nicht Tausende Augen auf sie gerichtet.

Doch was die Tierliebhaber hier sehen, ist nur der Zieleinlauf einer unvergleichlichen sportlichen Leistung. Eine Art Formel 1 der Tiere. Vorher haben die Athleten Stunden, Tage, Wochen auf See verbracht, jagend, schwimmend, tauchend. Nun folgt der Watschelwettbewerb. Schnell sein müssen sie dabei, um nicht von Raubmöwen attackiert zu werden.

90 Autominuten südlich der Millionenstadt Melbourne, wo jedes Jahr im März die Formel 1 ausgetragen wird, leben etwa 60.000 Zwergpinguine. Das Naturreservat Phillip Island im australischen Bundesstaat Victoria ist Heimat einer der größten Kolonien der kleinsten Pinguine der Erde. Sie werden knapp 40 Zentimeter groß und nisten in Dünen oder Felsspalten.

Ihr allabendlicher Aufmarsch, die so genannte Pinguinparade, ist Australiens bedeutendster natürlicher Zuschauermagnet. Die ersten Besucher kamen in den 1920er Jahren. Heute sind es über eine halbe Million pro Jahr, mehr als bei der Formel 1 in Melbourne. Mit ihren Eintrittsgeldern fördern sie das größte Forschungszentrum für Zwergpinguine weltweit.

Das Gros der Neugierigen versammelt sich auf einer Tribüne und lässt die Tierkolonne an sich vorbeiziehen. Nur wenige kommen noch näher heran. Eine Bucht weiter sitzen sie im Dunkeln im kühlen Sand. Über Kopfhörer empfangen sie Kommandos: „Bringt die Nachtsichtgläser in Anschlag“, fordert eine Stimme. „Da kommen die ersten aus dem Wasser und schnattern sich zu: ‚Wo bist Du heute gewesen? Hast Du viele Fische gefangen?‘“

Unterhaltsam kommentiert Rangerin Clarissa Logan bei der „Ultimate Adventure Tour“ das nächtliche Spektakel. „Zwergpinguine haben dunkelblaue Federn, keine schwarzen“, raunt sie, „dadurch sind sie besser getarnt. Ständig ölen sie ihr Gefieder ein, dann wirkt es wie ein Neoprenanzug.“

Ein kleiner Trupp Vögel watschelt auf die Eindringlinge zu und beäugt sie neugierig. Alle halten sich an Clarissas Anweisung, Streicheln ist strengstens untersagt. „Auf der Suche nach guten Fischgründen schwimmen unsere Freunde bis zu 50 Kilometer am Tag“, berichtet Clarissa. „Einige bleiben mehrere Wochen auf See und lassen sich sogar im Schlaf auf dem Wasser treiben.“
Helgard Below