Lettland

Lettland: Service-Wüste Riga

Nach Kriegsschäden und Sprengung originalgetreu wieder aufgebaut: das gotische Schwarzhäupterhaus in Rigas Altstadt

Nach Kriegsschäden und Sprengung originalgetreu wieder aufgebaut: das gotische Schwarzhäupterhaus in Rigas Altstadt.<br>Foto: pixelio/rolibi

Doch eigentlich stimmt die Hauptstadt heiter

Einen Fächer von Gründen gibt es dafür, dass die lettische Hauptstadt Riga derzeit zur Service-Wüste verkommt. Billig-Carrier spülen Horden von jungen Briten in die Weltkulturerbe-Stadt. Das bekommt der Atmosphäre in der Altstadt an manchen Tagen nur schlecht. Gut ausgebildetes Service-Personal, so ist immer wieder zu hören, wandert von Lettland nach Finnland ab. Dort gibt es wesentlich mehr zu verdienen. Und dann ist da noch die russische Mehrheit in der Stadtbevölkerung. Sie trägt in Hotels und Restaurants, Geschäften und Verkehrsmitteln zum oft frostigen Ton bei. So können selbst verliebte Paare auf Städtetour, die grundsätzlich milde gestimmt sind, mühelos drei Tage in der baltischen Metropole verbringen, ohne einem Lächeln zu begegnen.

„Wir sind ein Land, in dem westliche und östliche Kultur zusammentreffen“, wirbt Marija Skurule um Verständnis. Sie ist Wirtschaftsdolmetscherin – Riga wächst immer mehr zur Tagungsdestination aus – und bei Reiseveranstaltern und Städtereisenden gleichermaßen beliebte Reiseleiterin. Besonders gerne, so betont sie, arbeite sie für Gebeco und das interessierte deutsche Publikum.

Dabei stimmt Riga eigentlich heiter. Ihr größtes touristisches Kapital ist die Altstadt mit Dom, Petrikirche und dem – nach Kriegsschäden und Sprengung originalgetreu wieder aufgebauten – gotischen Schwarzhäupterhaus. Größte Attraktion sind die über 800 Jugendstilhäuser im Stadtteil Neustadt.

Erschütternd ist der Besuch im Okkupationsmuseum, das eindringlich aufzeigt, wie die Bevölkerung des Landes durch deutsche und russische Besatzung zwischen zwei Mühlsteine geriet. Skurule: „Wer das Museum besucht, wird unser Volk besser verstehen.“

Diesem Ziel kommt auch näher, wer die vielen Hallen des Zentralmarktes besucht. Einheimische suchen hier nach allem, was billig ist. Die Not in Riga ist groß und unübersehbar. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft hier wie selten in einer europäischen Hauptstadt weit auseinander. Während junge Männer in protzigen Cabrios bei Ampelgrün einen Kavalierstart hinlegen, um den Damen an ihrer Seite zu imponieren, hocken an Ampeln und U-Bahn-Eingängen alte Frauen, die mit Plastikbechern um Almosen bitten. „Unsere finanziellen Probleme können die Zukunftsprobleme im Tourismus sein“, orakelt Skurule, „Riga wird zu teuer.“

Ob die vielen Videokameras an den Altstadthäusern – bis zu sieben Kameras an einem ganz normalen Haus – Diebe abhalten sollen? Terroristen oder gar Graffiti-Schmierer? Darauf geben weder die Unesco-Welterbe-Geschäftsstelle in Paris noch die Stadtverwaltung von Riga eine schlüssige Antwort. Die Kameras erzielen ihre Wirkung: Weder in der Altstadt noch im Neustadtviertel gibt es Graffiti. Für die Verschandelung der aufwändig restaurierten Jugendstilfassaden sorgen große Leuchtreklamen.
Horst Schwartz