Norwegen

Mit Steigeisen auf den Eiskuchen

Als Lohn für die Strapaze gibt’s diesen Panoramablick.

Eine Gletscherwanderung am Hardangerfjord in Norwegen

Im Schneckentempo auf den Folgefonna.

Guide Asmund erklärt das Gletschergebiet. Fotos: pa

Wir kurven an rotweißen Holzhäusern, blühenden Wiesen und Obstbäumen vorbei. Am Himmel über Rosendal hat sich die Sonne durchgesetzt. Die letzten Wolkenreste schweben wie Brautschleier um die Bergspitzen. Es ist Sommer in Fjordnorwegen, doch hoch droben am Hardangerfjord leuchten Schnee und Eis. Auf einer Fläche von 270 Quadratkilometern erstreckt sich dort der Folgefonna, Norwegens drittgrößter Gletscher. Von Ferne erinnert das weiße Massiv an einen gigantischen Eiskuchen.

Der Folgefonna ist das Ziel unserer heutigen Unternehmung. Unser Bus schleppt sich die steile Straße hinauf, die mit jedem Höhenmeter schmaler zu werden scheint. Das liebliche Sommergrün ist schroffen Felsen gewichen, auf denen erst wenige und dann immer mehr Schneefetzen liegen. Hin und wieder schillern zwischen den grauen Gebirgsfalten froschgrüne Gewässer. Auf 1.200 Metern über dem Meeresspiegel erreichen wir schließlich das Sommerskizentrum, den Startpunkt unserer Gletscherwanderung.

Gletscher-Guide Asmund empfängt uns mit einem Strahlen und bergeweise Equipment: Klettergurten, knöchelhohen Wanderstiefeln, Steigeisen, Helmen und Eispickeln. Nachdem wir alle eingekleidet sind, werden wir mit jeweils einigen Metern Abstand an ein langes Seil geknotet. Asmund sagt, dass wir am besten wie ein Cowboy gehen sollen, also breitbeinig und wiegend. Auf diese Weise hätten wir eine gute Balance und würden das Risiko minimieren, uns an den Spitzen der Steigeisen zu verletzen. Auch auf das Seil müssen wir achtgeben: Es soll weder im Schnee schleifen noch spannen, damit wir nicht wie die Dominosteine umfallen, wenn einer von uns umfällt.

Endlich gibt Asmund das Kommando zum Aufbruch. Unsere Menschenperlenkette setzt sich langsam in Bewegung. Ich purzele schon nach wenigen Metern das erste Mal um. Das rechte Steigeisen hat mein linkes Hosenbein perforiert, mit dem Cowboy-Gang klappt es noch nicht so richtig.

Im Schneckentempo arbeiten wir uns durch den Tiefschnee den Berg hinauf. Weil ständig jemand zum Fotografieren anhalten will und dabei die ganze Abteilung zum Stehen kommt, können wir oft verschnaufen. Trotzdem rinnt inzwischen der Schweiß unter unseren Helmen hervor. Wir hatten uns mit Vliespullis, Mützen und Handschuhen auf Kälte und Wind eingestellt. Stattdessen beglückt uns jedoch die Sonne mit kraftvollen Strahlen.

Vor acht Jahren wurde das Gebiet des Folgefonnas zum 25. Nationalpark Norwegens ernannt. Neben Gletscherwandern, Eisklettern und Skifahren sind in der Region am Hardangerfjord noch eine ganze Reihe anderer Aktivitäten möglich: Angeln, Radeln, Reiten, Rafting, Paddeln, Paragliding und Parasailing, das wie Wasserski funktioniert, nur mit Fallschirm statt Skiern. Viele Touristen entscheiden sich allerdings für die entspannte Erkundungsvariante von Fjordnorwegen: eine Fahrt mit dem Boot.

Fast 180 Kilometer reicht der Hardangerfjord ins Land hinein und verästelt sich in mehrere Nebenarme. Von oben sähen die Fjorde wie Bäume aus und von unten wie eine Badewanne, findet unsere Reiseführerin Beate. Wenn man das Wasser ablassen würde, wären die Berge so hoch wie die Alpen. „Aber das werden wir natürlich nicht tun, denn sonst kommen keine Touristen mehr“, sagt die Norwegerin.

Für die Einheimischen ist die zerklüftete Küste hingegen eine tägliche Herausforderung. „Wir versuchen, die Fjorde mit Brücken, Tunneln und Fähren zusammenzunähen“, erklärt Beate. Dennoch schaffe man auf den Küstenstraßen nur 48 Kilometer pro Stunde. „Die Touristen verschätzen sich bei der Reiseplanung deswegen oft kapital.“

Wir sind inzwischen am Wendepunkt unserer Wanderung angekommen und werden für die schweißtreibende Strapaze mit einem sensationellen Panorama belohnt: 360-Grad-Einsamkeit mit kristallzuckrigem Schnee, bizarren Felszacken und einem tannengrünen See. Als ich genug genossen habe, merke ich, dass in meinen Wanderschuhen das Schmelzwasser steht – optimale Bedingungen für die Bildung von Blasen. Und so kommt es dann auch. Doch was soll’s: Die Blessuren werden vergehen, die Erinnerungen an den funkelnden Folgefonna bleiben.



Pilar Aschenbach

 

Aktiv in Fjordnorwegen
Gletscherwanderungen sind unter www.folgefonni-breforarlag.no/tysk/start.htm buchbar. Weitere Informationen zur Region um den Hardangerfjord stehen online unter www.hardangerfjord.com/de.