Schweiz

Licht am Ende des Tunnels

Längst nicht alle Skifahrer haben das Gotthard-Massiv auf dem Zettel. Foto: mc

Am Sankt Gotthard kann man nicht nur durch-, sondern auch abfahren

An einem beliebigen Samstagmittag im Schweizer Radio: „Zäh fließender Verkehr auf der A2 zwischen Wassen und Göschenen. Blockabfertigung vor dem Gotthard-Straßentunnel.“ Stau. Motor aus. Zehntausende Fahrzeuge donnern täglich durch den Korridor gen Süden – wenn sie können. Sobald die Ampel vor dem Tunnel wieder auf Grün schaltet, werden die Autos durchgeschleust. Im Behördendeutsch: abgefertigt. Der Stop-and-Go-Verkehr zerrt an den Nerven.

An einem ganz bestimmten Samstagmittag im Schweizer Bergdorf Andermatt, oberhalb des berühmten Tunnels: „Grüezi, darf ich Ihnen die Türe aufhalten?“ Na klar doch. Mit Skistiefeln bewegt man sich außerhalb der Pisten doch etwas unbeholfen. Keine Spur von Abfertigung in „Vreni’s Snack Eggä“. In dem gemütlichen Bistro in der Dorfmitte von Andermatt warten leckere, hausgemachte Spezialitäten aus dem Kanton Uri: Fruchtwähe, Birnenwegge, Urner Pastete.

Später, an der Bergstation geht’s erst mal gelassen weiter. „An schöna Tag!“ wünscht der freundliche Liftmitarbeiter seelenruhig beim Aussteigen aus der Gondel. Soviel Zeit muss sein. Wer auf den Gemsstock hinauffährt, dem Skigebiet oberhalb von Andermatt, erfreut sich erst einmal an der entspannten Atmosphäre und dem überwältigenden Panorama. Hat’s dann aber bisweilen ziemlich eilig: Die Steilabfahrten gehören zu den rasantesten in den Alpen. Für Freerider ist der Gemsstock gar eine der Top-Adresse.

Geübte Skifahrer und sportliche Aktivurlauber haben die Wintersportgebiete inmitten des Sankt-Gotthard-Massivs schon lange auf dem Zettel. Anders sieht es beim breiten Publikum aus: Die Masse machte lange einen Bogen um Andermatt & Co. Dabei galt die Region mal als besonders schick. Vor rund 100 Jahren gehörte Andermatt zu den Top Drei der Feriendestinationen in der Schweiz.

„Aber der Bau des Tunnels war ein Desaster für den Tourismus“, sagt Marja Nieuwveld – das typische Los einer Transitregion. Die Niederländerin ist Projekt-Managerin bei San Gottardo, einer touristischen Interessensgemeinschaft der Gotthard-Anrainer Uri, Wallis, Graubünden und Tessin. Der Abzug des Schweizer Militärs, das bis Anfang der 2000er Jahre einen Standort in den Bergen hielt und für sprudelnde Gewerbeeinnahmen sorgte, ließ im Ort vollends Endzeitstimmung aufkommen. Die Investitionsbereitschaft der Gastgeber sank gegen Null, die Infrastruktur setzte zunehmend Patina an.

Doch der Trend scheint umgedreht. Seit geraumer Zeit tut sich einiges am Fuße des Oberalppasses. Der Bau des Chedi Andermatt, das am 6. Dezember eröffnet, wirkte wie ein Weckruf auf Andermatt und seine Nachbargemeinden. Ansässige Hoteliers und Dienstleister stellen sich dem Wettbewerb und rüsten nach. So genannte Magic Carpets machen es den Skifahrern in den Skigebieten am Nätschen und Oberalp künftig leichter, sich fortzubewegen. Am Bahnhof Andermatt befördert seit neuestem ein Express-Shuttle die Gäste direkt zum Gemsstock.

An der größten und wichtigsten Innovation wird momentan fleißig gestrickt: dem Zusammenschluss der Skigebiete Gemsstock und Sedrun. Im Winter 2014/2015 soll die erste Etappe der Skiarena Andermatt-Sedrun fertig sein. Doch schon heute strahlt am Sankt Gotthard – touristisch gesehen – wieder helles Licht am Ende des Tunnels.
Martin Cyris