Türkei

Antike leicht gemacht

Auch heute noch prachtvoll: Die Celsus-Bibliothek in Efesos.

Kusadasi ist Kreuzfahrtzentrum und Ausgangspunkt für Efesos

Taxifahrer Hakan bringt seine Gäste mit einem Lächeln ans Ziel. Fotos: jm

Es ist Zentimeterarbeit. Knapp 100.000 Tonnen müssen erst mal sanft an den Pier anlegen. Aber Kapitän Thasos macht es mit Bravour. Die Celebrity Constellation ist auf Ägäis-Kreuzfahrt. Da ist Kusadasi Pflicht – als eines der Kreuzfahrtzentren der Ägäis mit Anlegern für die Big Boys und knapp tausend Liegeplätzen für Yachten. Das Städtchen ist eines der ältesten Ferienzentren der Türkei, wirkt aber dennoch jung.

Trotz schöner Promenade, einem Kastell aus den 1830er Jahren und einigen langgestreckten Stränden in der Umgebung, ist es vor allen Dingen eines: der Ausgangspunkt nach Efesos. Sogar seine Entstehung verdankt der Ort der antiken Weltstadt. Als der dortige Hafen versandete, gründeten Kaufleute im 13. Jahrhundert einen neuen Hafen: Kusadasi war geboren.

Hakan scheint es mit Zentimeterarbeit nicht so zu haben. Sein altes Fiat-Taxi hat schon einige Beulen im Blech. Aber er bringt seine Fahrgäste sicher ans Tor zur Antike nach Efesos. Mit der Antike ist das ja immer so eine Sache. Für Touristen, die sich nur einen Ausschnitt übrig gebliebener antiker Geschichte anschauen wollen, wirkt alles sehr verstrickt. Die Fremdenführer spulen ihr Programm ab und setzen teils irre Grundlagen voraus.

Dabei ginge alles auch viel einfacher und plausibler: Würde etwa Artemis heute leben, hätte sie ein Superministerium und wäre zuständig für die Ressorts Agrar und Familie. In der griechischen Mythologie gehörte die Tochter des Zeus als Göttin des Waldes und der Jagd sowie als Hüterin der Frauen und Kinder zu den zwölf wichtigsten Göttern. Deshalb wurde für sie auch einer der mächtigsten Tempel der Antike erbaut. Der Artemis-Tempel in Efesos gehörte zu den sieben Weltwundern der Antike. Von den ehemals 127 Tempelsäulen ist heutzutage nur noch eine einzige zu sehen, und die wurde aus Resten zusammengesetzt. Zweimal wurde der Tempel zerstört und schließlich nur noch als Steinbruch verwendet.

Efesos gehört trotzdem zu den bemerkenswertesten antiken Stätten der Ägäis. Die einst so reiche und prachtvolle Stadt besaß mehrstöckigen Villen, Thermen und Theater für 25.000 Zuschauer, die wieder aufgebaute Celsusbibliothek, ein Freudenhaus – und eine öffentliche Latrine. Dort saß man nebeneinander, palaverte über dies und das und verrichtete sein Geschäft, ganz ohne Sichtschutz zum Nachbarn.

Auch auf der mit Säulen bestandenen Kuretenstraße mit Marmorbelag kann man sich das geschäftige Treiben bestens vorstellen. Da war sicher auch öfter Zentimeterarbeit vonnöten, wenn Kutschen und andere Gefährte eng aneinander vorbei kurvten. Und bei hohem Verkehrsaufkommen machte man schon damals eine Fußgängerzone aus der Händlerstraße.

Wenn das Kino im Kopf erstmal angelaufen ist, geben die Überreste aus Säulen, Gewölben, Tempeln und das Theater eine herrliche Kulisse ab, um sich den Alltag vor drei Jahrtausenden vorzustellen. Gerade das Theater ist so gut erhalten, dass man sich leicht denken kann, wie die antiken Schauspieler das ewige Spiel von Liebe, Macht und Tod zelebrierten.
Jochen Müssig