Türkei

Zerreißprobe in Istanbul

Blick auf das Goldene Horn.

Eine Stadt zwischen Okzident und Orient, Freiheit und Glauben

Bunt wie ein Regenbogen: die Treppe, die nahe des Dolmabahce-Palasts zum Taksim-Platz führt. Fotos: jm, shutterstock

Die Treppe führt in der Nähe des Dolmabahce-Palasts steil nach oben Richtung Taksim-Platz. In dem Palast am Ufer zum Bosporus starb 1938 Kemal Atatürk, der Begründer der modernen Türkei. Er trennte Staat und Kirche und gab die Richtung vor: mehr Okzident als Orient.

Oben, am Taksim-Platz, versuchen vornehmlich junge Leute und Intellektuelle das Erbe Atatürks und die errungene Freiheit zu wahren. Denn seit Anfang der 1990er Jahre kämpft Recep Tayyip Erdogan gegen die säkularen Grundsätze der modernen Türkei. Der heutige Premierminister würde das Land lieber etwas konservativer und religiöser machen.

„In Istanbul entscheidet sich die Zukunft der Türkei“, sagt ein Student vor der Istanbuler Universität, die im Rücken des großen Basars liegt. „Auch die Menschen in den Küstenstädten und Touristenorten am Mittelmeer sind zumeist modern eingestellt. Aber nur Istanbul hat die Größe, um Ankara die Stirn zu bieten.“

Die Touristiker hoffen, dass trotz alldem der Boom anhält: sieben Millionen Gäste pro Jahr, 90.000 Betten und fast jeden Tag kommen neue dazu. Unter die Hotelperlen reihte sich zuletzt das Shangri-La Bosphorus ein. Aus einem der ersten Industriegebäude der Türkei, einem 1929 erbauten Lagerhaus für Tabak, entstand ein Marmortempel mit knapp 200 Luxuszimmern, von denen 60 Prozent Bosporus-Blick haben. Die Außenkonstruktion wurde erhalten, innen aber ist alles neu.

Bereits etabliert, aber ein absolutes Highlight und unbedingt der Erwähnung wert ist das Fünf-Sterne-Swissotel „The Bosphorus“: Es wurde bei den World Luxury Awards 2013 als „Bestes Luxushotel auf dem europäischen Kontinent“ ausgezeichnet. In den beiden Vorjahren hatte es bereits jeweils den Preis als „Bestes Luxushotel in der Türkei“ abgesahnt.Beide Häuser stehen für den Wandel Istanbuls in eine moderne europäische Metropole – mit hippen Clubs, eleganten Restaurants, grandiosen Hotels und vielfältigen Shopping-Möglichkeiten.

Das Istanbul von heute verbindet Europa und Asien in vier Minuten per U-Bahn, die unter dem Bosporus durchrauscht. Eine Stadt mit eleganten jungen Frauen wie vom Laufsteg und betenden alten Männer auf dem Gehweg vor einer überfüllten Moschee. Verbunden wird Alt und Neu quasi symbolisch durch die Galata-Brücke über das Goldene Horn.

Istanbul ist riesig, ihr touristisches Zentrum aber doch so klein, dass man vom Topkapi Palast an der Hagia Sofia und der Blauen Moschee vorbei bis zum großen Basar und am besten noch bis zur Universität für einen Meinungsaustausch mit Studenten bequem alles zu Fuß erreichen kann – auch, wenn es wieder Demonstrationen gibt. Denn der Taksim-Platz ist weit weg. Und nur dort kam es bisher zu Auseinandersetzungen.

Diese sorgten im Vorjahr für kleinere Dellen im Buchungsverhalten von Touristen – einen Einbruch bei den Gästezahlen gab es jedoch nicht: Vor allem im Reisebüro-Vertrieb waren die Buchungszahlen für Istanbul laut Bistro-Statistik erstaunlich stabil. Beim jährlichen Ranking der Flugsuchmaschine Swoodoo landete die Metropole sogar erstmals auf Platz fünf. 2012 hatte die Stadt noch auf Platz elf gelegen.

Das Online-Portal ermittelt dabei, nach welchen Flugzielen am meisten gesucht wird. Die Plätze eins bis vier gingen an Palma de Mallorca, Bangkok, Berlin und London.
Jochen Müssig
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