Tschechien

Prag: Wie beim Schwejk

Einer der schönsten Weihnachtsmärkte Prags findet auf dem Altstädter Ring statt.

Einer der schönsten Weihnachtsmärkte Prags findet auf dem Altstädter Ring statt.

In der Moldau-Metropole gibt es fast in jedem Viertel einen Weihnachtsmarkt

Handwerkskunst steht hoch im Kurs.

Handwerkskunst steht hoch im Kurs. Fotos: Prague City Tourism, CzechTourism

Weihnachten ist für fast alle Christen das wichtigste Fest eines jeden Jahres. Auch für die Tschechen, obgleich Religion so gut wie keine Rolle spielt. Nicht einmal fünf Prozent der Tschechen gehen in die Kirche, gerade mal zehn Prozent der Kinder sind zum Religionsunterricht angemeldet, etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Atheisten und nur ein Drittel bekennt sich zum Glauben. Die Kirchen sind in der Regel leer oder gar abgesperrt.

Besinnlich am Altstädter Ring
Doch am Altstädter Ring herrscht Weihnachtsstimmung, als sei man im nahen Nürnberg oder Dresden. Denn die Tschechen halten es stets mit dem braven Soldaten Schwejk aus dem gleichnamigen Roman von Jaroslav Hasek: Ich glaube nicht dran, aber feiern tun wir trotzdem.

Den Shopping-Wahnsinn zum wichtigsten Fest der Christen gibt es überall. Aber wer würde auf die Frage, warum Weihnachten so schön ist, antworten: Weil es frische Karpfen mit Kartoffelsalat gibt, weil man Geschenke bekommt, ein paar Tage auf die Datscha fahren kann oder weil im Fernsehen die besten Filme laufen?

Und weil es so schöne Weihnachtsmärkte gibt – in Prag praktisch in jedem Stadtviertel. Die vier schönsten finden Besucher am Altstädter Ring (26. November bis 1. Januar), am Wenzelsplatz (26. November bis 6. Januar), am Friedensplatz (20. November bis 24. Dezember) und natürlich hoch oben auf der Prager Burg (26. November bis 1. Januar).

Überall brutzelt der Prager Schinken über dem offenen Feuer, traditionelle böhmische Handwerkskunst kann erstanden und Weihnachtschören gelauscht werden. Kein Besuch eines Weihnachtsmarkts ist perfekt, wenn man nicht das Walnussgebäck Trdelnik probiert hat, das über Holzkohle geröstet wird. Dazu ein (in Tschechien leider meist fader, weil gestreckter) Glühwein und Weihnachten kann kommen.

Bratwurst und Chorgesang
Die Vorweihnachtszeit in Prag läuft zwar in den Shopping-Centern wie fast überall auf der Welt ab: mit „Jingle Bells“ und Plastikchristbaum nebst passenden Kugeln und Bling-Bling-Beleuchtung. Doch auf den Weihnachtsmärkten ist die Stimmung ruhiger, weniger kommerziell. Man trifft sich nach der Arbeit auf eine Bratwurst und ein Bier, unterhält sich, hört einem Chor zu. Die Touristen kaufen kleines Kunsthandwerk, böhmisches Glas und Spitzen.

Die Abende kommen einer echten „Silent Night“ nahe. Dann sind 300 Jahre Zwangskatholisierung unter der Habsburger Herrschaft vergessen. Ein erzwungener Glaube ist ja nie ein tief verwurzelter Glaube. Deshalb wurde die Religion auch während der kommunistischen Diktatur nicht zu einer treibenden Kraft der Opposition, wie etwa im tief gläubigen Polen. Die Qualitätszeitung „Lidove Noviny“ titelte unlängst: „Die Tschechen glauben eher an ihr Horoskop als an Gott.“ An den stimmungsvollen Weihnachtsmärkten ändert dies freilich nichts.
Jochen Müssig
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