Italien

Triest: Im Kokon der Nostalgie

Ein Spaziergang durch die Hafenstadt gleicht einer Zeitreise

Die Hafenstadt Triest gehörte 500 Jahre zum Habsburger Reich und war sein einziger Seehafen. Kaiserin Maria Theresia ließ ihn bauen. Die Investition der Regentin in den Frei‧hafen lohnte sich: Triest mutierte zur Boomtown. „Venedig war eine Stadt der Erinnerungen; Triest hatte den Vorzug, überhaupt keine Vergangenheit zu besitzen“, schrieb Karl Marx 1857 für die New York Daily Tribune. Triest war der Prototyp einer europäischen Stadt, Schaltstelle zwischen Ost und West, zwischen Adria und Alpen.

Die „Mole der Kühnheit“ ist ein ins Meer ragenden Laufsteg, dessen Buckelpflaster die Flaneure zwingt, die Schritte mit Bedacht zu setzen. Angler sitzen auf Pollern, Liebespaare halten sich umschlungen. Gegenüber liegt das riesige Gelände des verlassenen Freihafens. Der neue Porto, wo Kaffee gelöscht wird, ägyptische Kartoffeln anlanden und Lastwagen in Hundertschaften auf die Fähren Richtung Türkei rollen, liegt weiter östlich, wo auch das altertümliche Eisenwerk in den Himmel faucht.

Im Stadtteil Borgo Teresiano mit seiner k. u. k. Architektur sind selbst Straßenlampen eine Sehenswürdigkeit. Wie Schiffslaternen hängen die Milchglasglocken mit ihrem Netzgeflecht an kupfernen Halterungen von den Fassaden. Was aus den so solide gefügten Lagerhäusern des alten Hafens werden soll, darüber wird heftig diskutiert. Nur die filigrane Eisenkonstruktion eines gigantischen Krans erinnert noch an die Betriebsamkeit, die hier herrschte.

Am Canal Grande, der nur so heißt wie sein Bruder in Venedig, in Triest ganze 200 Meter lang ist, dümpeln die Boote von Freizeitkapitänen und Hobbyfischern. Triest döste Jahrzehnte lang „am südlichen Ende des Eisernen Vorhangs“, wie Churchill bemerkte. Und doch kultiviert Triest die Nostalgie wie eine alternde Diva, in seinen historischen Cafés wie dem San Marco.

Fast verwirrt steht man vor Adressen, wo sich die Stadt plötzlich aufgewacht präsentiert: der trendigen Fisch-Bar Salu Mare, dem modernen Eisladen Jazzin oder der schicken Pizzeria Celestino. Aber man braucht nur an den Fassaden hinaufzusehen, um sich wie in einem Belle-Epoque-Wien am Mittelmeer zu fühlen.

Als ginge es darum, die verlorene Zeit doch zu bewahren, begegnet man überall den literarischen Größen der Stadt: James Joyce auf einer Brücke über dem Canal Grande oder Italo Svevo an der Piazza Hortis. In Bronze gegossen stehen sie da, lebensgroß und ohne Sockel, wie alterslose Flaneure. Man würde sich nicht wundern, wenn sie einen an der Hand nähmen und zuflüsterten: „So schön kann Melancholie sein!“

Claudia Diemar