Kroatien

Istrien: In der Höhle der Drachenlarven

In Kroatiens bunter Unterwelt leben geheimnisvolle Geschöpfe

Der Abstieg in die Höhle des Drachens führt vorbei an versteinerten Vorhängen. Hunderte von Tropfsteinen sind zu riesigen Felsenschleiern verwachsen. Dazwischen führt der Weg tiefer in die Finsternis. „Früher glaubten die Menschen, dass dort Drachen die unterirdischen Wasserläufe bewachen“, sagt Igor Rimanic. „Niemand weiß, woher diese Legenden stammen.“ Am Ende steht der Höhlenführer 60 Meter unter der Erdoberfläche vor einem See. In dem dunklen Wasser spiegeln sich Hunderte Stalaktiten wie karamellfarbene Eiszapfen. 

Abenteuer Höhlentauchen

In den 70er Jahren drangen Taucher tiefer in die Baredine-Höhle in Istrien ein. „Der Höhlentaucher ist der letzte Forscher“, sagt Rimanic. „So lange der Sauerstoff reicht, dringt er in Räume vor, die zuvor niemandem zugänglich waren. Am Ende kommt auch er nicht weiter, wo sich die Wasserläufe in Spalten verlieren, in die nur der Olm schlüpft.“

Die Baredine-Höhle im Westen der istrischen Halbinsel ist eine von mehr als 10.000 Höhlen und Grotten in Kroatien. Die Karstschächte zwischen Slowenien und Montenegro gehören zu den tiefsten der Erde. Sie sind die Heimat des geheimnisvollsten Lebewesens der Unterwelt, des Grottenolms. Der blinde Schwanzlurch ähnelt einem Aal, hat jedoch zwei ausgedünnte Vorder- und Hinterfüßchen. Hinter den von pigmentloser Haut überwachsenen Augenstellen sitzen rote Kiemenbüschel.

Seit seiner Entdeckung beflügelt die sagenhafte Kreatur aus der Unterwelt die Fantasie des Menschen. Früher erzählte man sich, dass die bis zu 35 Zentimeter langen Lurche in Wahrheit Drachenlarven seien. 

Wie im Landesinneren, so stößt man auf den Istrien vorgelagerten Inseln Cres und Losinj überall auf Schluchten, Grotten und Meereshöhlen. 

Von Mali Losinj bricht Milan Topic mit einem Boot in Richtung des Inselchens Male Srakane auf. Der Tauch-Guide geht dem Archipel um Losinj seit 30 Jahren auf den Grund. Sein Ziel ist heute eine Meerhöhle, die einem anderen furchterregenden Bewohner der Unterwelt als Rückzugsort dient: dem Drachenkopf.

Langsam gleitet Topic eine von Mönchsfischen und Zahnbrassen umschwärmte Steilwand hinab und dringt vorsichtig in die Unterwassergrotte ein. In der Dunkelheit ihres Verstecks warten die Drachenköpfe auf ihre Beute. Sie werden erst im Licht der Taucherstirnlampe sichtbar. Die grimmig dreinblickenden Skorpionfische sind perfekt getarnt. Mit ihren bulligen Köpfen und der zu Giftstacheln umgewandelten Rückenflosse fordern Drachenköpfe von Tauchern augenblicklich Respekt ein. Zwar ist ihr Gift für den Menschen nur in Ausnahmefällen tödlich, bei einem Stich kann es jedoch zu heftigen Schmerzanfällen und zum Kreislaufzusammenbruch kommen. 

Ein Unterwassertempel wartet

Wer nach der Grotte der Drachenköpfe noch auf der Suche nach weiteren Höhlenabenteuern ist, den nimmt Topic gerne mit zu seinem Lieblingstauchspot. „Auch nach unzähligen Tauchgängen immer wieder magisch!“, verspricht er. „Katedrala“ nennen die Losinjer einen Unterwassertempel vor der Küste der kleinen Insel Premuda. Andächtig gleiten die Taucher durch die Felshallen der Meereshöhle. 

Eine Spalte in der Decke lässt Sonnenlicht eindringen und das klare Wasser in weichen Aquamarintönen schimmern – ein Lichtspiel wie in einem gotischen Gotteshaus. Beim Aufstieg durch einen Tunnel grüßt eine Reihe an Drachenköpfen, wie die steinernen Dämonen von Notre-Dame. Reglos kauern sie sich an die Riffwand. Bei der zweiten Begegnung wirken sie schon weniger gefährlich. Manchmal lugt auch ein Congeraal aus einer Felsspalte und glotzt die Taucher mit einem zahnlosen Grinsen an. Um einen wahrhaft das Fürchten zu lehren, müssen sie noch ein wenig üben, Kroatiens Ungeheuer aus der Unterwelt.

Win Schumacher

Höhlentouren

Manche Schauhöhlen sind der Öffentlichkeit zugänglich, die meisten Höhlen und Grotten in Kroatien sind jedoch nicht für Touristen erschlossen und nur mit einer Sondergenehmigung oder einem professionellen Guide betretbar. Zum Tauchen in den Festlandhöhlen und Karstspalten müssen in Zusammenarbeit mit den speläologischen Organisationen Kroatiens gültige Genehmigungen des Kulturministeriums und der Umweltschutzverwaltung beantragt werden. Unter anderem TUI und FTI bieten Istrien- und Tauchreisen in Kroatien an.