Georgien

Georgien: Der lange Weg nach Stepanzminda

Als Symbol der Orthodoxie thront die Dreifaltigkeitskirche über Stepanzminda. Fotos: mw

Spektakuläre Wanderrouten und orthodoxe Kirchen

Eben noch presst eine Rechtskurve die Passagiere in ihre Sitze. Sekunden später verschwindet der Minibus in einer engen Betonröhre. Ohne Beleuchtung geht es auf einer Spur für beide Richtungen auf holpernden Betonplatten vorwärts. Jetzt macht der Tunnel ebenfalls eine Kurve. Gerade noch rechtzeitig blickt der Chauffeur in die Scheinwerfer des Gegenverkehrs und steigt eilig auf die Bremse. „Hoppla!“, ruft er lapidar.

Eine Reise in Georgiens ungezähmten Norden steht einer Achterbahnfahrt in nichts nach. Wie ein Lindwurm schlängelt sich die Georgische Heerstraße von der Hauptstadt Tiflis in die Berge hinauf zur russischen Grenze. 213 Kilometer, die es in sich haben.

Ein kleiner Flirt mit dem Pater

Nach einer halben Stunde Fahrt durch das grüne Tal der Kura gibt Pater Dawit (siehe Foto) den Reisenden seinen Segen. Wie ein Vorposten liegt sein Kloster Jvari auf einem schroffen Hügel oberhalb der alten Hauptstadt Mzcheta – den schneebedeckten Großen Kaukasus mit seinen 5.000ern bereits fest im Blick.

Mit 23 Jahren sei er 1992 Novize geworden, erzählt der Mann mit weißem Rauschebart, nachdem der Patriarch ihm bei ‧einem Besuch in seinem Dorf ein winziges Ikonenbild geschenkt habe. Seine Eltern hätten sich zunächst nicht gefreut, aber die Mutter sei inzwischen selbst Nonne.

Mit der Orthodoxie nimmt es Dawit aber nicht zu genau. Beflissen sieht er darüber hinweg, wenn wieder eine Gruppe deutscher Touris‧tinnen ohne Rock und Kopftuch in die wertvoll ausgemalte Kirche eilt. Stattdessen flirtet er ein wenig mit den Reiseleiterinnen.

Aussichtspunkt mit Elefantenklo

Am Fluss entlang schlängelt sich die Fernstraße bergan. Der sächsische Abenteurer Heinrich von Tottleben ließ die schon im Altertum bekannte Querung im Auftrag des Zaren im 18. Jahrhundert zur Straße ausbauen.

Erst nachdem Georgien die Visapflicht für russische Bürger abgeschafft hat, hat der Grenzverkehr wieder Fahrt aufgenommen. Kolonnen von Lkw und Reisebussen schieben sich jetzt wie zu Sowjetzeiten über die Fernstraße.

Die sehenswerte Kirche Ananuri bietet Gelegenheit zur Kaffeepause mit den traditionellen, gefüllten Teigtaschen. Dann geht es weiter hinauf zum Skiort Gudauri. An einem markanten Aussichtspunkt haben Künstler noch zu Sowjetzeiten ein unfassbar großes Betonrondell mit bunter Arbeiter- und Bauern-Kunst hingeklotzt. „Meine Gäste haben es Elefantenklo getauft“, erzählt die Germanistin Tamula Latsabidse, die heute mit einer Incomming-Agentur selbstständig ist.

Wenig später markiert ein schlichtes Kreuz die gleichnamige Wetterscheide auf dem Hauptkamm des Großen Kaukasus auf 2.379 Metern. Bereits hier umzudrehen, wäre indessen eine Schande. Markantestes Ziel auf der Strecke ist nämlich die Kleinstadt Stepanzminda, nur wenige Kilometer vor der russischen Grenze.

Die fast mondäne Atmosphäre in Tiflis ist hier noch Zukunftsmusik. Einfache kleine Häuser ducken sich in den Schatten des mächtigen ‧Berges Kasbek, eines perfekten Dreiecks von 5.047 Metern Höhe. Der weiße Bergkegel ist so auffällig, dass die Griechen den armen Prometheus an seine Hänge geschmiedet glaubten.

Versteck für den Kronschatz

In Stepanzminda muss der Kleinbus kapitulieren. „Dann müssen wir eben die Wanderschuhe schnüren“, meint Latsabidse. Am alten Friedhof vorbei und über saftige Almwiesen führt sie ihre Besucher um einen Steilhang herum noch weiter den Berg hinauf.

Nach knapp zwei Stunden Fußmarsch erscheint das Ziel auf einer letzten hohen Kuppe. 400 Meter über Stepanzminda thront hier seit 600 Jahren die stolze Dreifaltigkeitskirche wie ein Leuchtturm des Glaubens vor einer schroffen Felswand. Früher wurde der georgische Kronschatz in dieser Bergeinsamkeit verwahrt, erzählt Latsabidse. Aktuell rüsten sich die Mönche mit einer Restaurierung für den Ansturm künftiger Gäste.

Von Martin Wein