Deutschland

Köln: Straßenbahn ins Gestern

So sieht sie aus, die Zeitreise nach Köln. Foto: Timeride VR

In der Großstadt am Rhein kann man eine virtuelle Tram-Fahrt durch das Jahr 1909 unternehmen. Vorsicht: Auch Straßendiebe sind unterwegs!

Straßenbahnschaffner Apostolos Koltsaklis informiert über die „Elektrische“. Foto: mw

Fegte nicht eben noch ein Sturm die Blätter über den Alten Markt und ließ die Passanten das Weite suchen? Jetzt jedenfalls liegt Köln im milden Licht eines leicht dunstigen Frühlingsmorgens. Ein Windhauch zieht durch die Fenster der Elektrischen, wenn der hölzerne Wagen vor der Hohenzollernbrücke mit leichtem Schaukeln in Richtung Dom abbiegt. 
Doch nein, das ist noch nicht die Hohenzollernbrücke, sondern der Rest der eingehausten alten Dombrücke. „Musfall“ sagen die Kölner wegen der tunnelartigen Verkleidung, durch die man laufen muss. Und ihre Stadt schreiben sie in diesem Frühjahr 1909 noch mit einem C. 
Eine authentische Zeitreise in der Straßenbahn – zu diesem Erlebnis lädt das junge Unternehmen Time Ride Besucher und Einwohner der Rhein-Metropole ein. Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und 3D-Grafiker haben dafür nach alten Gemälden und Fotos eine neuartige Stadtrundfahrt konzipiert. 

Ohne Pferdemist und Ruß

Die beginnt mit Apostolos Koltsaklis, der in der schwarzen Uniform damaliger Straßenbahnschaffner mit der Zange die Fahrscheine entwertet. Zuerst zeigt Koltsaklis stereoskopische Bilder von Dom & Co in alten und neuen Aufnahmen. „Solche Kaiserpanoramen waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die erste virtuelle Erfahrung der Menschen“, sagt er. Dann heißt es „Einsteigen“ in den blank geputzten Nachbau der ersten elektrischen Straßenbahn. Die ist ab 1901 in der Stadt unterwegs – ohne Pferdemist oder den Ruß der Dampfeisenbahnen. Schnell, sauber und effizient kurvt die Elektrische mit bis zu 25 Stundenkilometern durch die Stadt.

Die Illusion ist fast perfekt

Für die Zeitreisenden ist das ein gemütliches Spaziertempo. Mit der bequemen 3D-Brille auf dem Kopf, die auch Brillenträger aufsetzen können, lässt sich die Fahrt aus dem Wagen in allen Richtungen verfolgen. Die Illusion ist mit leichten Bewegungen des Wagens, passenden Geräuschen und dem freien Rundumblick fast perfekt. Nur wer nach unten schaut, sieht statt der eigenen Füße den leeren Holzboden der Bahn. Und die Mitreisenden im hinteren Abteil wirken etwas unbeweglich. 
Dafür ist der virtuelle Straßenbahnführer auf dem Perron umso gesprächiger. Im Selbstgespräch kommentiert er den Zeppelin, der vom Butzweiler Hof in den Himmel steigt. Er grüßt einen Kollegen in der Gegenbahn und klingelt für den vorbeieilenden Spritzenwagen der Feuerwehr. 
Auch draußen gibt es neben 600 Häusern und dem Rheinpanorama mit dampfenden Schiffsschornsteinen viel zu entdecken. Rund 3.000 Menschen wurden für die Fahrt animiert. Auf dem Alten Markt verkaufen Landfrauen lautstark frische Eier. Kurz vor der Dombrücke stürzt ein Passant in den Rhein. Und linker Hand grapscht sich ein anderer einen Apfel von einem fliegenden Händler. 
Das originelle Fahrgeschäft kommt an. Eine zweite Dependance von Time Ride hat kürzlich in Dresden eröffnet. Dort geht es in der goldenen Kutsche durch die blühende Barockstadt. 

Martin Wein