Kanada

Labrador: Bei Wikingern und Walfängern

In L’Anse aux Meadows sind wieder die Wikinger zu Hause – 1.000 Jahre nach ihrem ersten Besuch

Labrador und Neufundlands Westen bieten echte Pioniererlebnisse

Der historische Fischereistützpunkt Battle Harbour ist heute die Topattraktion Labradors

Red Bay ist einer der sichersten Häfen an Nordamerikas Atlantikküste. Fotos: mw

"Rote Haare, grüne Augen – wirklich gutes Sklavenmaterial!“ Der bärtige Mann im groben Leinenhemd freut sich offenbar über Besucher. Breitbeinig steht er mit seinem Füllhorn in der Hand vor einem Haus aus Torfballen und Grassoden – so groß dimensioniert, dass auch die Busladung von einem Kreuzfahrtschiff hineinpasst. Am zugigen Nordwestzipfel Neufundlands sind neben Walen und Eisbergen schließlich die Wikinger die größte Attraktion. 
Einheimische halten Wikinger-Erbe lebendig

Um das Jahr 1000 soll der Isländer Leif Eriksson von Grönland hierher gesegelt sein. Zumindest fanden sich Spuren dreier Langhäuser und diverser Werkstätten. Nach der Deklaration zum Welterbe wurden sie in der rauen Tundralandschaft bei L’Anse aux Meadows rekonstruiert. Im Sommer schlüpfen Einheimische in die Rollen der Entdecker. Sie kochen Fischsuppe auf den Feuerstellen, schlagen Eisennägel in der Schmiede und stricken warme Beinlinge. 
„Wir sind auf der Suche nach Bauholz und Fellen in Markland (Labrador) und weiter im Süden“, sagt der Mann vor dem Grashaus. Er stellt sich als Finn vor, Kapitän der dritten von insgesamt vier Reisen. Alles, was es auf Grönland nicht gab, holten sich die Wikinger im Westen, weit weg von der Tributpflicht an Norwegens König. Dann packten sie alles ein, steckten die Häuser in Brand und segelten zurück nach Osten.
Während Neufundland und insbesondere Labrador heute abseits gängiger Routen liegen, waren sie in der Vergangenheit immer wieder Ziel unerschrockener Glücksritter. Schon im frühen 17. Jahrhundert fanden baskische Fischer in Red Bay an der Küste Labradors, heute nur anderthalb Stunden Fährzeit von Neufundland entfernt, einen der sichersten Häfen an der Ostküste. Wo heute nur noch 300 Leute wohnen, kochten im 16. Jahrhundert bis zu 2.500 Basken Walöl in riesigen Bottichen. 
Auf dem struppigen Inselchen Saddle Island in der Bucht, seit 2013 ebenfalls Weltkulturerbe, führt ein beschilderter Rundweg über Hügel und Niederungen zu ihren wenigen Hinterlassenschaften. 20.000 Wale sollen in nur 50 Jahren gestorben sein, ist im sehenswerten Besucherzentrum auf dem Festland zu lesen. Mit Modellen, Artefakten und Rekonstruktionen wird hier das Leben der Waljäger illustriert. 
Battle Harbour ist Labradors Topattraktion
Nachdem der Walfang sich bald nicht mehr lohnte, lockte vor allem der Kabeljau aufs Meer. Battle Harbour war lange einer der besten Häfen dafür und zeitweise die größte Siedlung Labradors. Bis 1990 wurde hier Fisch angelandet, eingepökelt und getrocknet. Danach hat eine Stiftung die Siedlung auf einer Granitinsel zum Museumsdorf umgestaltet, heute Labradors Topattraktion. Von Mary’s Harbour erreicht man es nach einer Stunde Fahrt zwischen Eisbergen hindurch, die im Sommer von Grönland gen Süden treiben. 
Viele der Holzhäuser sind zu gemütlichen Unterkünften geworden. In den alten Lagerhäusern zeigen ehemalige Mitarbeiter, wie früher gearbeitet wurde. Abends spielt Musik im Kaminzimmer über dem General-Store und eine kräftige Brise vom Atlantik pfeift ums Haus.
Martin Wein