Kanada

Wachstum mit Verspätung

Das Kanadische Museum für Menschenrechte (links) dominiert die Skyline von Winnipeg. Foto: IanChrisGraham / istockphoto

Winnipeg: Manitobas Provinzhauptstadt bemüht sich mit neuen Attraktionen um mehr Besucher

Im Assiniboine Park Zoo leben die Tiere der kanadischen Arktis – darunter auch Eisfüchse. Foto: mw

Hämmern, Klöppeln und Hufgetrappel ist aus den Werkstätten der Sattler, Schuhmacher und Schmiede zu hören. Das Hotel „Prince of Wales“ wirbt mit Bettenpreisen von 50 Cent pro Nacht und im Lichtspielhaus nebenan flackern die neuesten Schwarz-Weiß-Erfolge über die Leinwand. Die Stadt Winnipeg in den Prärien Manitobas floriert als Eisenbahnkreuz im Zentrum Kanadas dermaßen, dass Spekulanten hier um 1890 Grundstückspreise wie in Manhattan zahlten. Um 1900 soll die Kommune zur größten Stadt Nordamerikas heranwachsen, heißt es.

Gut 120 Jahre später ist das goldene Zeitalter der Stadt im Manitoba-Museum an der Rupert Avenue in begehbaren Straßenzügen eindrucksvoll nachgestellt. Doch Winnipeg, das mit dem Siegeszug des Flugverkehrs seine Stellung als Tor zum Westen Kanadas einbüßte, möchte in der Gegenwart wieder verstärkt Anlaufpunkt für Kanada-Reisende werden. Die Industriestadt in Kanadas Weizengürtel nur rund 100 Kilometer nördlich der US-Grenze hat weit und breit keine Konkurrenz zu fürchten. Und sie wächst mit spürbarem Selbstbewusstsein mit einem Jahrhundert Verspätung doch noch zur Millionenstadt heran. In den letzten Jahren sind neue Attraktionen hinzugekommen, die eine Stippvisite rechtfertigen.

Bison auf dem Teller

Am Zusammenfluss von Red und Assiniboine River, wo 1738 Pelzhändler ihr erstes hölzernes Fort errichteten, ist mit „The Forks“ ein uriges Vergnügungszentrum mit Boutiquen und lokaler Küche entstanden. Im Exchange District in der Innenstadt hat man die letzten Straßenzüge der 1920er Jahre unter Denkmalschutz gestellt und in kleine Designer-Läden verwandelt. Mitten in der Prärie wirkt das Viertel fast europäisch, auch wenn abends in der Peasant Cookery eher Bison auf den Teller kommt. Im prunkvollen Legislative Building der Provinz Manitoba mit seinen zwei Bronzebüffeln links und rechts der Freitreppe zum Plenarsaal lässt sich der Stolz der reichen Provinz vollends erfühlen. Wie jüngst erst bekannt wurde, hat der Architekt dem Bau mit viel Freimaurer-Symbolik eine mystische Aura verliehen, die neuerdings auf täglichen Rundgängen entschlüsselt wird.

Ein Leuchtturm für Menschenrechte

Viele Besucher Winnipegs reisen heute weiter ans Ufer der Hudson Bay nach Churchill, um dort im Sommer Belugawale und im Herbst Eisbären zu beobachten. Wer nicht so viel Zeit hat, der kann im Assiniboine Park Zoo eine simulierte Reise in die Arktis antreten. 60 Millionen Dollar wurden in großzügige Freigehege für Bisons, Wölfe, Eisfüchse und Eisbären investiert, die sich durch Glasscheiben beobachten lassen.
Vor allem aber stiftete der Zeitungsverleger Izzy Asper, ein Sohn ukrainischer Einwanderer, der Stadt mit dem Kanadischen Museum für Menschenrechte eine Sehenswürdigkeit, die weit über die Stadtgrenzen hinausstrahlt.

Untergebracht ist es seit 2014 in einem spektakulären Glas- und Betonbau für deutlich mehr als 300 Millionen Dollar. Kritisch hinterfragt die ständige Ausstellung in einem Dutzend Galerien mit geschicktem Einsatz audiovisueller Technik kanadische und internationale Konflikte, darunter etwa Kanadas Weigerung zur Aufnahme europäischer Juden im Zweiten Weltkrieg oder die noch bis in die 1970er Jahre betriebenen berüchtigten Internatsschulen für Kinder der First Nations. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Lehren sich aus der Vergangenheit ziehen lassen – für Winnipeg, für Kanada und für die ganze Welt.

Martin Wein
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