Chile

Villa Kunterbunt im Großformat

Baufällig, aber bunt: Valparaiso ist gespickt mit Graffiti ...

Valparaiso: In der chilenischen Hafenstadt haust das kreative Chaos  

... und anderen Wandmalereien.

Mario Celedon vor seinem Atelier in der Calle Urriola im Viertel Cerro Alegre.

Das Gegenteil von Planstadt: Valparaisos wildes Häusermeer. Fotos: pa

Das Atelier von Mario Celedon ist eine Villa Kunterbunt im Kleinformat. Auf Türen und Wänden prangen farbenprächtige Gemälde, der Boden ist mit Kreidestiften, Farbtuben, Skizzenblöcken und Paletten übersät. Über dem kreativen Chaos thront auf einer Leiter der Künstler im farbverschmierten Kittel. Er bedeckt die letzten weißen Flecken mit einer Hafenszene aus Valparaiso: bunte Wellblechfassaden, Container-Schiffe, Kräne und am Himmel ein Wolkenspiel in Zuckerwatterosa.

Celedon schwingt schon seit 30 Jahren den Pinsel. Seine Werkstatt liegt hoch oben in der chilenischen Hafenstadt im Altstadtviertel Cerro Alegre, das mit seinen Häusern aus dem 19. Jahrhundert, Cafés und Kneipen ein Anziehungspunkt für Künstler, Studenten und Intellektuelle ist. Celedons Spezialität sind Motive aus Valparaiso - verschachtelte Gassen, steile Treppen, Stromkabelwirrwarr, Schiffe, das Meer. Hat er ein Lieblingsbild, einen Lieblingsplatz? "Nein", sagt der 50-Jährige entschieden. "Ich liebe die ganze Stadt."

Valparaiso, kurz auch Valpo genannt, gilt manchen als kulturelle Hauptstadt von Chile. Die Häuser der rund 300.000 Einwohner sind über 45 Hügel versprengt, als hätte eine rebellierende Kinderhorde unendlich viele Kisten mit Bauklötzen ausgekippt. Ein wildes Würfeldurcheinander, verbunden über unzählige Treppen, eine Hochburg der Improvisation und Albtraum eines jeden Stadtplaners, ein Labyrinth aus Armut und Verfall, übertüncht mit Graffiti und anderen Wandmalereien - eine Villa Kunterbunt im Großformat.

Wer hier eintritt, landet in einem riesenhaften Bilderbuch über die Geschichte und Gefühle der Stadt. Oben auf dem Cerro Bellavista liegt das Museo a Cielo Abierto, ein Open-Air-Museum mit Gemälden auf Hauswänden, und in einer Straße weiter unten marschiert der geputschte Ex-Präsident Salvador Allende auf einer schmalen Häuserfront. Die Jugend macht ihrer Systemkritik mit Spraydosensprüchen auf bröckelndem Mauerwerk Luft, und dazwischen wie ein blau-weiß-roter Faden immer wieder die chilenische Flagge: Sie spannt sich als Wimpelgirlanden durch Innenhöfe, hängt an baufälligen Balkonen und aus Fenstern ohne Scheiben. Die Bewohner bekennen sich, trotz allem. Nicht nur Allende wurde in Valpo geboren, sondern auch Diktator Augusto Pinochet. Pablo Neruda, der als "Dichter der verletzten Menschenwürde" 1971 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, hatte ein Haus auf dem Cerro Bellavista.

Vor zwei Jahrhunderten war die Bedeutung von Valparaiso, Paradiestal, eine andere. Der Hafen schwang sich zum wichtigsten im pazifischen Raum auf, doch mit der Eröffnung des Panamakanals 1914 begann die wirtschaftliche Blüte zu welken. Die glanzvollen Tage haben der Stadt viel Zierde beschert: Flanierpassagen, Aussichtspavillons und Holzvillen mit Pazifikblick, ehemals Domizile von Kaufleuten aus Europa. In letzter Zeit wurden mehrere der Schmuckstücke zu Boutique-Hotels und stilvollen Restaurants umgestaltet. Auch das Wahrzeichen von Valparaiso, die 15 historischen Aufzüge, sollen restauriert werden.

Die bunten Kästen, einige davon in abenteuerlichem Zustand, verbinden die wichtigsten Hügel mit der Unterstadt. Dort schlägt das kommerzielle Herz von Valpo, laut und hektisch. Um die fußgängerfeindlich gestaltete Plaza Sotomayor gruppieren sich wuchtige Bauwerke - Verwaltungsgebäude, Banken, Hotels, Kaufhäuser, mittendrin ein klobiges Kriegsdenkmal. Nur wenige Schritte sind es bis zum Hafen mit Ausflugsbooten und Shops für Touristen. Rechter Hand am Horizont erhebt sich die Skyline von Vina del Mar. Obwohl Valpo und Vina nur wenige Kilometer trennen, liegen Welten zwischen den Städten. Das benachbarte Seebad ist ein Konstrukt aus Glas, Beton und Stahl, anfangs der Santiago-Schickeria für die Sommerfrische vorbehalten, heute Tourismusort mit Spielkasino, gehobeneren Hotels, Boutiquen und Parkanlagen.

Valparaiso ist arm an Must-see-Monumenten. Und so spricht nichts dagegen, schon bald wieder zurück ins liebenswürdige Chaos der Kreativen zu trapsen. Auch Nationaldichter Neruda soll es gemocht haben, sich durch das Stufenmeer treiben zu lassen. "Wenn wir alle Treppen Valparaisos begangen haben, sind wir einmal um die Welt gereist", schrieb er über seine Wirkungsstätte.

Für die Rast bieten sich kleine Plätze und Pavillons an, aber auch originelle Lokale wie das "La Concepcion". Die lauschige Terrasse ist ein formidabler Platz, um einen Pisco Sour zu schlürfen, das chilenische Nationalgetränk aus Traubenschnaps, Zuckersirup, Limonensaft und Eiklar - sehr süß, sauer und hochprozentig. Danach wirkt die Stadt noch ein bisschen bunter und der Treppenirrgarten noch ein bisschen grenzenloser. Fast ist es, als wandele man durch eine kolorierte Version des Bildes "Treppauf Treppab" von M. C. Escher, dem Meister der perspektivischen Unmöglichkeiten und optischen Täuschungen, in dessen Welt die Treppen nimmer enden.

Pilar Aschenbach

City-Tipps

Wo wohnen: Im Casa Higueras, ein elegantes und gemütliches Boutique-Hotel mit Pool auf der Dachterrasse (www.hotelcasahigueras.cl). Buchbar beispielsweise über den Münchner Luxusreiseveranstalter Art of Travel (www.artoftravel.de).
Wo essen: Im "La Concepcion", ein stilvolles Boutique-Restaurant mit Terrasse und Panoramablick (www.restaurantlaconcepcion.cl).
Wo schlendern: Kreuz und quer durch das bunte Häusermeer der Viertel Cerro Concepcion und Cerro Alegre.

Allgemeine Infos zu Chile gibt es unter www.chile.travel/. Anreise beispielsweise mit LAN Airlines von Frankfurt nach Santiago de Chile (www.lan.com).