Bolivien

Copacabana ohne Zuckerhut

Der Wallfahrtsort Copacabana liegt direkt am Titicacasee.

In Bolivien gibt es eine Kleinstadt, die so heißt wie der Strand in Rio

Die Körbe von Senora Esmeralda sind prall gefüllt. Sie quellen über mit cremefarbenen, golfballähnlichen Dingern. Senora Esmeralda verkauft Pasankallas, eine Art bolivianisches Popcorn. Die Körbe prägen das Straßenbild in Copacabana.

Wie ein glückliches Maiskorn in Senora Esmeraldas Pfanne gehen auch die Herzen der Besucher auf. Das bolivianische Städtchen am zumeist peruanischen Titicacasee schmiegt sich auf eine malerische Halbinsel, umrahmt von sanften Hügeln. Zumindest der halbmondförmige Schwung der Bucht erinnert an Copacabana, den weltberühmten Stadtteil Rio de Janeiros. Doch von Bikinis, Sandstrand oder Zuckerhut am Titicacasee keine Spur. Auch nicht von Massentourismus. Hier ist alles mindestens zwei Nummern kleiner. Ein Kleinod mit ganztägiger Siesta-Stimmung.

Anders an den Wochenenden: Dann kommen vielen Familien nach Copacabana, denn das Städtchen ist einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Boliviens. In der strahlend weißen Basilika im Ortsinneren befindet sich die eine Meter große Jungfrau von Copacabana. Anfang Februar und zum Ostern strömen Tausende Gläubige hierher. Unter Pilgern sehr beliebt ist der Weg auf den fast 4.000 Meter hohen Hausberg Calvario, der auf 14 Stationen den Leidensweg Jesus zeigt.

Doch der Weg lohnt sich auch für diejenigen, die mit der Kirche wenig gemeinsam haben: Vom Calvario gibt es eine wunderschöne Aussicht auf Städtchen und See. Trotz der Höhenlage - Copacabana liegt auf 3.820 Metern - ist es am Titicacasee tagsüber oft sehr mild. Dennoch streifen ausschließlich Touristen ihre T-Shirts ab. Die Einheimischen lockern bei Temperaturen knapp über 20 Grad gerade mal den Reißverschluss ihrer Daunenwesten. Für ein Bad im Titicacasee ist es fast allen zu kalt.

Boliviens Copacabana will übrigens nicht nur der Namensvetter, sondern sogar der Namensgeber für das brasilianische Copacabana sein. Handfeste Beweise für diese These gibt es keine. Doch in Südamerika, wo Leidenschaft und Legenden gegenüber Logik und Verstand dominieren, kommt es nicht immer auf stichhaltige Beweise an.

Auch die nahe gelegene Isla del Sol lebt von einer Legende: Manco Capac, der erste Inka, soll hier vom Sonnengott auf die Erde geschickt worden sein. Dem Mythos nach soll auf der Isla del Sol sogar die Sonne das Licht der Welt erblickt haben. Fest steht: Dank der klimatisch günstigen Lage mitten auf dem Titicacasee scheint die Sonne auf der Isla del Sol noch häufiger als in Copacabana.

Nicht zuletzt deshalb ist die Insel ein beliebtes Ausflugsziel. Dort angekommen bleibt den Besuchern erst einmal die Luft weg. Zum einen wegen der grandiosen Ausblicke über den See und auf das Festland. Doch vor allem wegen der dünnen Anden-Luft. Zirka zweihundert Höhenmeter müssen auf einer steilen, alten Inka-Treppe bewältigt werden. Doch die überwältigende Landschaftskulisse entschädigt für die Plackerei: Wie eine Fata Morgana blitzen die Königskordilleren in der Ferne auf.
Martin Cyris